Von Bini Adamczak

Der Goldpreis steigt. Seit Beginn der Corona-Krise scheint die Nachfrage nach Gold beständig zuzunehmen. Und das ist keine historische Ausnahme. Ein Run aufs Gold lässt sich pünktlich zu jedem Krisenbeginn beobachten. So als verkörperte das Metall eine Sicherheit, die den blassen staatlichen Papieren fehlte, als käme den glänzenden Dingen ein innerer Wert zu, ganz unabhängig von ihrer menschlichen Umgebung. Mit diesem hartnäckigen Glauben sind die Goldjäger*innen nicht allein. Die Vorstellung, es gehöre zu den natürlichen Eigenschaften der Dinge, mehr oder minder wertvoll zu sein, bestimmt das Alltagsbewusstsein wie nicht selten auch die Wirtschaftswissenschaft: Ein Auto ist mehr wert als ein Bier, aber alles hat halt seinen Preis. Diese scheinbar spontane Plausibilität hat das Interesse von Karl Marx geweckt. Eine Ware, kommentierte er nüchtern, habe zwar einen gewissen Gebrauchswert – ein Bier lässt sich zum Trinken verwenden, ein Auto zum Angeben –, seines Wissens nach habe aber noch kein*e Chemiker*in einen „Tauschwert in Perle oder Diamant entdeckt“. Dennoch sprechen die Einwohner*innen der kapitalistischen Welt den Warendingen soziale Fähigkeiten zu, sie machen sie, mit anderen Worten, zu einem Fetisch. Marx hielt diesen Eindruck allerdings nicht bloß für einen Irrtum oder eine Ideologie, sondern verstand ihn als Ausdruck der realen gesellschaftlichen Verhältnisse. Bei genauerem Hinsehen sind es die Waren selbst, die diese Ansicht

verbreiten. „Könnten die Waren sprechen“, schreibt Marx in „Das Kapital“, „so würden sie sagen, unser Gebrauchswert mag den Menschen interessieren. Er kommt uns nicht als Dingen zu. Was uns aber dinglich zukommt, ist unser Wert. Unser eigner Verkehr als Warendinge beweist das. Wir beziehen uns nur als Tauschwerte aufeinander.“ So weit die Waren. Dort jedoch, wo die Menschen sich als Bauchredner*innen der Waren betätigen und ebenfalls behaupten, der Nutzen der Waren sei ein soziales Verhältnis, ihr Wert aber eine natürliche Eigenschaft, fühlte sich Marx an die Figur Dogberry aus Shakespeares „Viel Lärm um nichts“ erinnert. Der verkündet: „Ein gut aussehender Mann zu sein ist eine Gabe der Umstände, aber lesen und schreiben zu können kommt von Natur.“

Ich bin mir nicht sicher, ob Dogberry recht hat, wenn er sagt, lesen und schreiben komme von der Natur. Auch wenn es in der Epoche der Renaissance eine einflussreiche Sprachphilosophie gab, die es für die Natur der Welt hielt, von Gott beschriftet …