Missy Magazine 02/21, Musikrezis
Lael Neale
Acquainted With Night
Cargo

Lael Neale fühlt sich von aalglatt produzierten Sounds erdrückt. Ihr Ziel ist es deshalb, die ursprüngliche Form ihrer Songs unangetastet zu lassen. Dass diese Schlichtheit nur durch größte Anstrengung erreicht wird, hört man ihrer Musik nicht an. „Acquainted With Night“ heißt Neales melancholisches Debütalbum. Ihr schwermütiger Stil erinnert an eine unaufgeregte Lana Del Rey in roher, aber nicht minder düster-atmosphärischer Form, die dem durchgestylten Popideal trotzt. Themen wie Isolation, Sterblichkeit und Sehnsucht spielen die Hauptrollen in ihren poetischen Texten. Wie eine kristallklare Stimme aus dem Jenseits ertönt die Sängerin mit ihren schaurig-schönen Songs, die sie alle selbst komponiert und arrangiert hat. Begleitet wird Neales Gesang von den orgelähnlichen Klängen des Omnichords. Ebenfalls selbst gemacht sind ihre Musikvideos, in denen Neale die ihr so eigene Lo-Fi-Ästhetik aus vorherigen Clips wieder aufgreift: Sie kommen gewollt amateurhaft und auf alt gemacht daher. Mit „Acquainted With Night“ beweist Neale, dass sie ohne viel Chichi bestens auskommt. Katrin Börsch

 

Missy Magazine 02/21, Musikrezis
Kate Davis
Strange Boy
Solitaire

Der Undergroundmusiker Daniel Johnston träumte davon, Hits wie die Beatles zu haben. Das passierte nicht. Bekannt wurde er trotzdem. Musikalisch durch unausgereifte Gitarrenklänge auf Kassetten-Tapes, gesprochene Verse, die sich in einen musikalischen Trip verwandeln. Mit Artwork, das einst sogar Kurt Cobain auf seinem T-Shirt trug. Aber auch durch Ausraster, die auf seine bipolare Erkrankung zurückzuführen sind. Johnston spielt die Hauptrolle in „Strange Boy“, dem neuen Album der US-amerikanischen Singer-Songwriterin und Bassistin Kate Davis. Davis, die immer wieder auf den Spuren des Jazz wandelt, also dem experimentierfreudigen Genre schlechthin, covert Titel um Titel das Album „Retired Boxer“ (1984) von Johnston. Dabei werden die Songs von kleinen gesprochenen Reminiszenzen an den Musiker aus Austin unterbrochen. Die rauschen ebenso wie das Original. Davis verliert sich nicht darin, etwas gleichzutun, sondern schafft eine beeindruckende Neuinterpretation. „Fighting With Myself“ wird etwa durch ihre Stimme weicher und fließt mehr, was die Härte des Texts, etwa „Sometimes I feel like I could be happy / But I always find something to fear“ schön konterkariert. „This Song“ verwandelt sich wohl am meisten. Der experimentelle Piano-Track wird zum sphärischen Up-Tempo- Song mit Drum Machine und akzentuierten Gesangs-Passagen. Yuki Schubert

 

Missy Magazine 02/21, Musikrezis
Conny Frischauf
Die Drift
Bureau B

„Esgehtrauf,rauf,rauf“,oder„Tustdumirweh, sag ich auf Wiederseh’n“ – scheinbar mühelos und selbstverständlich klingen auch die problematischsten Sachverhalte auf Conny Frischaufs Debütalbum „Die Drift“, das auf zwei viel beachtete EPs folgt. Die Wiener Allround-Künstlerin erschafft aus vielen Instrumenten und ihrer Stimme einen ganz eigenen Klangkosmos, der wie aus Zeit und Raum gefallen wirkt: Krautrock und Psychedelik, Easy Listening und Elektronika fügen sich zu zehn Tracks, die freundlich und optimistisch einerseits, seltsam und widerständig andererseits daherkommen. „Parapiri“ z. B. wirkt so stimmungsaufhellend, als stünde man auf einer blühenden Wiese inmitten zwitschernder Vögel. Und während „Fenster zur Straße“ auf Sprachspielerei gebaut ist, fiept und bleept es in „Sonntag“ experimentell-elektronisch. Wobei es Frischauf nie um den Effekt an sich geht: Mit Loops, Grooves und Echo baut sie ein schillerndes, schlingerndes Ganzes, in dem sich das „Driften“ ganz buchstäblich erfahren lässt: Taucht man in die Musik ein, verliert man sich – im positiven Sinn – in den Soundspiralen und -flächen, was durch Frischaufs mantraartige Lyrics noch verstärkt wird (siehe/höre „Zeit verdrehen“). Und doch hat „Die Drift“ etwas ganz Konkretes und Greifbares, das sich vor allem im Schlusstrack „Freundschaft“ zeigt: ohne Freund*innen keine Kommunikation, keine Musik, kein Leben. Christina Mohr

 

Missy Magazine 02/21, Musikrezis
Noga Erez
KIDS
City Slang ♣ VÖ: 26.03.

2017 veröffentlichte die israelische Musikerin Noga Erez ihr Debütalbum „Off The Radar“. War der Titel eine Vorschau? Erez machte sich nämlich verdammt rar in der darauffolgenden Zeit. Letztes Jahr dann ein Lebenszeichen mit der Single „VIEWS“ und auch hier scheint der Name des Songs vielsagend: Schaut mich an! In Versalien! Er klingt dann auch so, als hätte man die Gorillaz mit Missy Elliot im Breakdancer eingesperrt. Irgendwie irre, sehr gut, in jedem Fall geht es nach vorne los. Erez-Fans der ersten Stunde aufgepasst: Der typisch schleppende Elektropop aus ihren Debützeiten ist passé, Noga Erez nutzt auf „KIDS“ jede Musikerscheinung, die sie nur in die Finger kriegen kann: Retro-Synthie-Sounds, harte Break-Beats, Trap, Chöre, TripHop. Ohrwürmer wie das energische „Fire Kites“ finden sich auf dem Album genauso wie eher düster-langsame Nummern wie die Lockdown-Hymne „NO News On TV“. Mal murmelt sie in den Stimmverzerrer, dann rappt sie sich die Lunge aus dem Leib. Alle Songs sind jeweils nur knackige drei Minuten lang – Erez kommt auf den Punkt. Und das tut dem Album sehr gut. Thematisch geht es um Politik, toxische Beziehungen, Eltern, Kinder, ach, Tod und Teufel. Grundlegend bleibt der Kosmos von Noga Erez also düster-ernst, neuerdings gibt es dazu aber Beats und es darf getanzt werden. Michaela Drenovaković

 

Missy Magazine 02/21, Musikrezis
Julia Stone
Sixty Summers
BMG ♣ VÖ: 16.04.

Egal, ob man Julia Stone solo kennt oder aus der Zusammenarbeit mit ihrem Bruder Angus – mit „Sixty Summers“ präsentiert sich die Australierin von einer Seite, die den meisten neu sein dürfte. Mutig wagt sie, acht Jahre nach ihrem letzten Soloalbum, einen großen Schritt weg von Folk und Akustik hin zu bunten, aufgeschlossenen Pophymnen. Die 14 neuen Songs sind mal treibend, düster und dramatisch wie „Fire In Me“, mal poppig-tanzbar wie „Free“ und „Who“. Die Singleauskopplung „Dance“ gehört schon allein deshalb auf unsere Quarantäne-Playlist, weil sich niemand Geringeres als Danny Glover im begleitenden Musikvideo selig lächelnd in das Herz von Susan Sarandon tanzt. Neben dem musikalischen Facettenreichtum zeichnet „Sixty Summers“ auch seine feine Poesie aus. Ausgelassenes Feiern und Flirten findet auf dem Album seinen Platz – etwa in „Break“ – ebenso wie Liebe und Beziehungen, bspw. in „Easy“: Liebe ist nicht leicht zu finden. Doch wenn man schon mal das Glück hat, soll es bitteschön unkompliziert sein, meint Stone. Dass das nicht immer klappt, zeigt „Unreal“, das sanft-loungig daherkommt, während es von dumpfem Beziehungsschmerz erzählt. Melancholisch-nachdenklich wird es mit dem Song „I Am No One“, der sich um Selbstzweifel und Abhängigkeit dreht. Unverkennbar bleibt während all dessen Julia Stones Stimme, die das Album zusammenhält und gleichzeitig so einzigartig macht. Ihre Experimentierfreudigkeit macht Lust auf mehr. Ida Schelenz

 

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tUnE-yArDs
Sketchy.
Beggars / 4AD ♣ VÖ: 26.03.

tUnE-yArDs beschäftigen sich auf ihrem fünften Studioalbum mit sich selbst und ihrer Rolle in der Welt. Wie für Frontfrau Merrill Garbus und ihren langjährigen Bandkollegen Nate Brenner typisch, passiert das klanglich aufregend und inhaltlich schonungslos. Laut „Hold Yourself “ besteht die Welt aus lauter verwaisten Kindern, weil das Versagen der Eltern unausweichlich ist. Die schlechte Nachricht: Alle Eltern werden irgendwann das Grundvertrauen ihrer Kinder verspielen. Niederschmetternde Erkenntnisse klanglich so auszustaffieren, dass sie zu spannungsvollem Avantgarde-Pop werden, ist die Spezialität von tUnE-yArDs. Ihr zu Recht gelobtes Vorgängeralbum „I Can Feel You Creep Into My Private Life“ ist Zeugnis dessen. Aber auch auf „Sketchy.“ schaffen die kalifornischen Künstler*innen überraschende Soundwelten: Sie ordnen Fragmente zu großen Collagen, spielen mit Genres wie Funk, New Wave und R’n’B, platzieren regressive Elektronik neben Klarinetten, Klavier und Schlagzeug. Über all dem thront Merrills trompetende Stimme, die sich mal rappend („Homewrecker“), mal im Chor („Silence Pt. 1“) den Weg bahnt. So wird der Kontrast zwischen Mechanik und Organik zum Spannungsfeld: Die Themen sind schwer, die Klänge entrückt und gleichzeitig brechen die Songs immer wieder zu anschmiegsamen Poprefrains auf. Zum Ende der musikgewordenen Innenansicht gibt es Merrills hypnotisch wiederholte Zeilen „Don’t regret a thing“ – auch ein Statement. Silvia Silko

 

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Jane Weaver
Flock
Fire Recordings

Trotz einer Karriere, die seit einem Vierteljahrhundert konstant gärt und mitunter herausragende Alben abgeworfen hat, konnte Jane Weaver bislang ihrem Status als Geheimtipp nicht entwachsen. Aus Zurückhaltung? Wohl kaum: „I want to smash the patriarchy / tired of an industry“, singt die Britin mit neu gewonnenem Selbstvertrauen auf ihrer zehnten Veröffentlichung „Flock“ und fräst mit Laser- strahlstimme endgültig durch die metaphorische gläserne Decke. Weavers psychedelische Sternenwanderungen des letzten Albums werden auf „Flock“ durch scharfzackige Basslinien und verspielt blubbernde Disco-Synths geerdet und locken zwischen Prince-Anleihen und St.- Vincent-Attitüde mit einem flirtenden Augenaufschlag auf die Tanzflächen. Solange diese noch unter Verschluss stehen, massiert sie unsere unter Dauerbeschuss stehenden Neuronen auf „Lux“ in einer Art New-Age-Spa, während sie durch Einflüsse stolziert, die von russischen Aerobicvideos aus den Achtzigern bis zu australischem Punk reichen. Jane Weaver legt gekonnt einen neuen Popentwurf vor. Wie auf den bisherigen Alben schwappen die letzten Töne des letzten Stücks in einer Zirkelbewegung in das erste wieder hinein, denn „Flock“ ist das Manifest eines unerschütterlichen Glaubens an den Neubeginn. Egal, ob nach einer traumatischen politischen Ära oder einer zerbrochenen Liebesbeziehung: Hoffnung ist verdammt sexy. Sonja Ella Matuszczyk

 

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Claud
Super Monster
Saddest Factory Records

So weich, so süß, so bitter! Claud geht mit ihrem Debütalbum an den Start und lässt darauf tief blicken. „Super Monster“ ist eine Art modernes Held*innenepos und kommt dabei ganz ohne Spinnenbiss aus. Clauds Superkräfte liegen vielmehr im Feingefühl, in der Empathie, im Verletzlichsein und natürlich in markanten Melodien. Wer braucht schon mutierte Gegner*innen, wenn der Alltag mit großen Identitätsfragen und Aufgaben der Selbstfindung lauert? Und so ist Clauds „Super Monster“ die vielleicht ehrlichere Held*innengeschichte. Das Debütalbum aus dem Herzen New Yorks überzeugt mit Liebe zum Detail. Ob nuancierte Texte über das Missverstehen oder die Interaktion zwischen den vielfältigen Liedern selbst – Claud scheint mit einem feinen Gespür für die richtigen Beats jeden Song ganz und gar zu durchdringen. Unfassbar sanft kommt „Super Monster“ daher und trotzdem füllt jeder der 13 Titel den Raum mit einem aufgeladenen Knistern. Im Studio waren auch zahlreiche Freund*innen, darunter Clairo und Gitarristin Melanie Faye. Claud lebt Indiepop in jeder Nuance und balanciert locker zwischen großen Refrains und brodelnden Melodien. Obwohl Claud eine Reihe leichter tänzelnder Beats zusammengestellt hat, wohnt ihnen etwas Tiefes, etwas Melancholisches inne, das „Super Monster“ seine unbestreitbare Spannung verleiht. Rosalie Ernst

 

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Masha Qrella
Woanders
Staatsakt

Was für ein wunderbares Album „Woanders“ ist. Masha Qrella singt zum ersten Mal auf Deutsch – aber nicht ihre eigenen Gedanken, sondern Texte von Thomas Brasch. Der längst verstorbene Schriftsteller, der 1976 aus der DDR in den Westen gehen musste, hat Gedichte geschrieben, die er wohl selbst für songtexttauglich hielt. Brasch habe in seiner Lyrik „eine Art und Weise gefunden, das Wesen dessen vorauszusagen, an dem unsere Gesellschaft heute krankt: am Verlust und Zusammenbruch der eigenen Persönlichkeit“, findet Masha Qrella. Die Berliner Musikerin ist selbst ein Kind der DDR – wenn auch ein deutlich jüngeres –, das in der wilden Nachwendezeit mit der Musik begann und damals nicht auf ihre Ostidentität reduziert werden wollte. Und auch dieses Album kann man nicht darauf reduzieren, denn Braschs Texte sind so aktuell wie zeitlos, sie handeln von Sehnsucht, Zweifeln, Erfolgsdruck, Tristesse. Masha Qrellas New-Wave-Indie-Pop-Musik und ihr Gesang, der es schafft, sogleich warm als auch kühl zu klingen, ziehen die Hörerin sofort rein in ein „Woanders“, in dem sich Fragen wie diese stellen: „Wenn man woanders wär / nur woanders / aber wo nur, wo, wo ist man woanders / wo ist man denn anders?“ Es ist ein Woanders, in dem man nie gewesen ist, aber bleiben will, und wo man nicht alleine ist, weil hier auch die anderen einsam sind. Juliane Streich

 

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Tash Sultana
Terra Firma
Sony

Eigentlich entfaltet sich Tash Sultanas Musik erst, wenn man sie*ihn live erlebt. Wer Sultana zuschaut, sieht dabei zu, wie sich jemand verliert, auflöst in der eigenen Musik. Mit Loopstation und 15 Instrumenten bedient sie*er sich an einer Bandbreite von Genres, die sich zwischen Neo-Hippie Sounds, Pop, Jazz und R’n’B bewegen. Mit diesem Erfolgsrezept spielte Sultana in den letzten Jahren in ausverkauften Hallen. Doch kann ein Tonträger diese Magie einfangen? Es ist das zweite Album der*des nicht-binären Multiinstrumentalist*in, die*der mit dem Hit „Jungle“ berühmt wurde. Bei „Terra Firma“ geht es um das Nachhausekommen, um die Erde, die die eigenen Füße trägt und daran erinnern soll, woher man kommt. Was auf dem ersten Album noch etwas rough wirkte, klingt auf dem zweiten glatter und erwachsener. Sanfte Sounddecken aus melodischer E-Gitarre und dem Summen von Sulatanas voller Stimme legen sich wie eine warme Decke über die Zuhörenden. Die Songs sind intimer, der Sound ruhiger. Lieblingsmomente des Albums sind träumerische Sphären in „Musk“ oder das Stück „Greed“, bei dem der australische Strand fast aus den Kopfhörern suppt. Die Kraft, die Sultana bei Konzerten versprüht, geht in Stücken wie „Pretty Lady“ leider verloren und doch ist das Album mit seinen idyllisch konstruierten Sounds und verspielten Schlenkern die perfekte Untermalung für einen Sonntagmorgen im Bett. Nadja von Bossel

Alice Phoebe Lou
Glow
VÖ: 19.03.

Als Straßenmusikerin in Berlin ist einer die Aufmerksamkeit der Passant*innen nicht gewiss – hier braucht es eine packende Stimme, eingängige Melodien und Unbekümmertheit, um sich nicht vom Spielen abbringen zu lassen – es braucht Pop, sozusagen. Die in Südafrika als Kind von Dokumentarfilmer*innen aufgewachsene Singer-Songwriterin Alice Phoebe Lou kann all das und spielt immer noch im Treptower Park, obwohl sie 2019 mit ihrem Album „Paper Castles“ für mehr als 100 Konzerte auf der ganzen Welt unterwegs war. Sie wolle mit ihrer Musik eine kuschelige Blase schaffen, in der sich Leute warm, sicher und verstanden fühlen. Und genau das macht Lou auch auf ihrem dritten Album „Glow“ zwischen Folk, Jazz und Blues, das sie auf ihrem eigenen Label veröffentlicht. Im Retro-VHS-Video zur ersten Single „Dusk“ tauchen wir in eine rosa Lockdown-Welt zwischen Badewanne und Bett ein, die eine liebevolle Freundinnen-Romanze erzählt: „But the world don’t matter / when we’re looking at each other.“ Der Song schunkelt uns mit Klarinette, Klavier und dem warmen Sound der analogen Produktion von Lou und ihrer Band in eine Welt voller Gefühle und mutiger Verletzlichkeit, die wir auf den elf Songs der Platte nicht wieder verlassen – ein Album zum Drinbleiben. Liz Weidinger


Julien Baker
Little Oblivions
Matador Records

Nach der wunderbaren Kollaboration „boygenius“ (2018) gemeinsam mit Phoebe Bridgers und Lucy Dacus veröffentlicht Julien Baker mit „Little Oblivions“ nun ihre dritte Soloplatte in voller Länge. Und es scheint so als hätte Baker derweil Gefallen am volleren Bandsound gefunden. Denn der eher puristische Klang der beiden Vorgängeralben weicht einer neuen Sounddichte: Wo vormals v.a. Bakers Stimme und eine dezente melodische Begleitung im Vordergrund standen, erklingt nun eine Vielzahl von Instrumenten (vom Banjo über die Mandoline bis hin zu Synthesizern) neben dem Gesang. So entsteht eine neue und dennoch vertraut wirkende Soundkulisse, in der es Baker gelingt am Altbekannten und Liebgewonnen anzuknüpfen. Auch textlich bietet „Little Oblivions“ in gewohnter Manier Impulse über die eigenen großen und kleinen Fragen des Lebens nachzudenken. Einen Vorgeschmack erhalten wir in der Singleauskopplung „Faith Healer“. Darin verhandelt Baker (eigene) Erfahrungen von Abhängigkeit und thematisiert die große Verführung, sich dieser hingeben oder einfachen Heilsversprechungen folgen zu wollen. Es ist eine intensive Erzählung menschlicher Fehlbarkeit und Sehnsüchte, in der wir Hörer*innen uns mit unseren eigenen Verwundbarkeiten wiederfinden können. Nicole Dannheisig

Diese Texte erschienen zuerst in Missy 02/21.