Japanese Breakfast
„Jubilee“
( Cargo, VÖ: 04.06. )

Bei Japanese Breakfast drehen sich die Zeiger anders. Erst 2016 legte das Debüt „Psychopomp“ mit zitternden Händen den Grundstein für eine Diskografie der extremen Intimität. In den weiten Sphären verhüllte Kreativgeist Michelle Zauner hier zunächst die tief sitzenden Ängste und Zweifel wegen der schweren Erkrankung, auf dem Nachfolger dann wegen des Todes der eigenen Mutter. Von derart immens wertvollen, aber sicher auch kräftezehrenden Einblicken ausgehend macht sich „Jubilee“ nun auf die Suche nach der Freude. Dafür geht Zauner auf ihrem dritten Album bewusst dorthin, wo viele Künstler*innen ihre Karriere beginnen – zu eingängiger Musik fürs Ohr. Dafür zaubert schon der Opener „Paprika“ mit wirbelnden Tomtoms und frohlockenden Fanfaren ein äußerst pompöses Feuerwerk aus der Tasche. Mit den dichten Saxophon-House-Wellen von „Slide Tackle“ und den groovenden Bässen, mit denen „Be Sweet“ zum lässigen Flanieren einlädt, wird es nicht weniger imposant. Doch auch wenn Zauner mit Perspektivwechseln zu einem Millionär in der Apokalypse („Savage Good Boy“) oder einem Kleinstadtjungen („Kokomo, IN“) vermeintlich von sich selbst Abstand nimmt, steckt doch unverkennbar Zauners Seele in jedem Takt. Nur betreten wir jetzt eben in bester „Dancing On My Own“-Manier mit Tränen in den Augen gemeinsam die Tanzfläche. Julia Köhler

 

Missy Magazine 03/21,Musikrezis,Kerosin 95, Volume 1Kerosin95
„Volume 1“
( Ink Music )

Es gibt eine Stelle in „Futter“, dem dritten Track auf „Volume 1“, die die Attitude des Albums besser auf den Punkt bringt, als dieser Text es je könnte: „Ich gönne mir die Bühne, so wie du seit tausend Jahren.“ Sich endlich Raum zu nehmen, Mackertum eine klare Haltung entgegenzustellen und das Abfeiern der eigenen Crew sind Themen, die während der 25 kurzen Albumminuten immer wieder auftauchen. Wer die Singles kennt, die Kerosin95 seit 2019 in loser Abfolge veröffentlicht hat, mag diesen Fokus freudig erwartet haben – selbstbewusste Auseinandersetzungen mit nicht-binärer Identität
sind im HipHop-Game
schließlich nicht gerade
an der Tagesordnung.
Und so tastet und boxt
sich der*die Wiener
Künstler*in durch die abwechslungsreichen, exzellent produzierten Songs zwischen Rap und Indiepop. Das unsicher Tastende stellt dabei den überraschend präsenten Gegenpol zum „Ich gönne mir“-Gestus von „Futter“ dar. Der Opener „Heeey“ etwa kippt ohne Vorwarnung von stampfendem Empowerment-Rap in eine Akustikballade über das Versinken in eigenen Ängsten. „Nie wieder fühlen“ oder „Nacht“ verzichten ganz auf den Umweg Rap und zeigen die verletzliche, persönliche Seite Kerosins. Dass das Thematisieren der eigenen Unsicherheit letztlich ohnehin Stärke ist, weiß er*sie dabei wiederum selbst am besten: „Wärst du auch gern mal so zart? Und wärst du auch gern so knallhart?“ Jana Sotzko

 

Missy Magazine 03/21,Musikrezis, St.Vincent, Daddys HomeSt. Vincent
„Daddy’s Home“
( Loma Vista )

An alle Hörer*innen, die die Musik von Prince vermissen und mehr Funk in ihrem Leben suchen: Das Warten hat ein Ende. Und zwar in Form von St. Vincents neuem Album „Daddy’s Home“. Schon der Opener „Pay Your Way In Pain“ gibt die Marschrichtung vor – und die geht klar in Richtung 1970er-Jahre-Glam-Funk. Sexy Groove gibt es dazu bei „Down And Out“ und mit dem titelgebenden Song „Daddy’s Home“ sind wir endgültig in den schrägen Seventies gelandet. Die Musikerin und Producerin St. Vincent, bürgerlich Annie Clark, bestätigt in einem Interview, ihr Album sei an den Film „Taxi Driver“ angelehnt. Thematisch
dreht sich bei „Daddy’s
Home“ in der Tat alles
um nächtliche Eskapaden in New York City.
Der wahnhafte Abstieg
des „Taxi Driver“-Protagonisten, verkörpert von Robert De Niro, lässt sich gut dazu denken, so schräg klingt das Werk teilweise. Filmanleihe hin oder her, scheint „Daddy’s Home“ irgendwie aus der heutigen Zeit gefallen, entrückt, bisweilen sind ein paar futuristisch anmutende Elektronikklänge erlaubt. Aber dann geht es schon wieder zurück in die Ära der Plateauschuhe, Ganzkörperkragen und Föhnwellen. Für schwere Stunden, Seventies-Fans oder beinharte St.-Vincent- Anhänger*innen ein Muss. Der Rest bleibt etwas ratlos zurück. Aber das hat St. Vincent ja noch nie gestört. Sie bleibt einfach einzigartig. Michaela Drenovaković

 

Missy Magazine 03/21,Mine HinüberMine
„Hinüber“
( Caroline International )

Schwer wie Semmelknödel geht es los: „Ich bin hundert Jahre alt, mein Kopf ist voll, die Füße kalt. Die ganze Welt hat sich auf meine Brust gesetzt“, singt Musikerin und Produzentin Jasmin Stocker alias Mine in dem Eröffnungsstück „Hinüber“ zu Streichern und Bombast-Beats. Doch ganz so heavy geht’s nicht weiter auf dem ebenfalls „Hinüber“ betitelten Album. Schon das folgende schlaue „Bitte bleib“ betört durch sexy Kargheit (vorn Drums, hinten Discomelodei, drüber fette Bassline) und lädt zum Tanz im Homeoffice ein, genau wie das daftpunkig-elegante „Elefant“. Das mittlerweile sechste Album der Musikerin, die mal Jazz und Pop studiert hat und u. a. mit HipHop- Künstler*innen wie den Orsons, Großstadtgeflüster und Fatoni gearbeitet hat, präsentiert
sich als Wechselbad
der Gefühle. Mal leicht
(„Audiot“ – „Du machst
Scheiße, aber das ist
schon okay“ oder flirrendes Urlaubsfeeling bei „Lambadaimlimbo“), albern („Eiscreme“), mal tieftraurig wie die Ballade „Mein Herz“, ein Tearjerker voller Geigen und sehnsüchtigem Pluckern. Manchmal geht’s auch um Existenzielles wie in „Tier“. „Der Unterschied zwischen mir und einem Tier ist, dass ich fragen kann, was will ich hier“, heißt es darin vor der Einsicht: „Ich hab alles nur geliehen, alles Geld, alles Glück – muss ich eines Tages gehen, lass ich alles hier zurück.“ Das tut weh. In Zeiten, in denen man kaum jemanden berühren darf, hält einem „Hinüber“ manchmal die rettende Hand hin, auch wenn es laut Mine keine Pandemieplatte sein soll. Passt aber so gut. Barbara Schulz

 

Missy Magazine 03/21,Musikrezis,Lost Girls Menneske kollektivetLost Girls
„Menneskekollektivet“
( Smalltown Supersound )

Im März 2020, als die Konzerte reihenweise abgesagt wurden – auch die der Avant-Pop-Künst- lerin und feministischen Autorin Jenny Hval sowie des Multi-Instrumentalisten Håvard Volden – und der kollektive Alltag auf einmal ein anderer war, nahm das norwegische Duo Lost Girls nach über zehn Jahren der Zusammenarbeit sein erstes richtiges Album auf – quasi als Teil eines seltsamen Performanceprojekts namens Pandemie. Auf „Menneskekollektivet“ testen sie die Improvisation als Umgang: Hvals Vocals wechseln zwischen Spoken Word und ihrem mal eindringlichen, mal geheimnisvollen Gesang, der sich zu einer wabernden Textur übereinanderlegt und quasi als Instrument auf Voldens Gitarre reagiert. Stimme und Gitarre sind eingewickelt in einen dunklen Drum-Machine-Teppich und werden von Synthesizern nach vorne getrieben, sodass ein Album zwischen Elektronik und Experiment entstanden ist. Es knüpft klanglich an Hvals tolle Soloplatten an, verzichtet aber im Gegensatz dazu auf konzeptionellen Überbau. In den fünf Tracks geht es nicht um Bedeutung, sondern vielmehr um die fluide Suche nach dem nächsten Schritt – genau so, wie es Hval in den ersten Zeilen des Titeltracks ankündigt: „In the beginning, there is no word and no I. In the beginning, there is sound.“ Liz Weidinger

 

Missy Magazine 03/21,Musikrezis,IOKOI
„Tales Of Another Felt Sense Of Self“
(-OUS)

Als das Ergebnis einer dreijährigen inneren Reise bezeichnet Mara Miccichè alias IOKOI ihr Album „Tales Of Another Felt Sense Of Self“. Fünf Songs werden begleitet von einem Booklet und einem Raumduft, die in Kooperation mit anderen Künstlerinnen entstanden sind. Musikalisch ordnet sich das Werk zwischen Avant-Pop und Spoken Word ein. Mechanische Töne, elektronische Beats und Naturklänge treffen auf sanftes Klavier und geflüsterte Gedanken. Das Studieren zwischenmenschlicher Beziehungen nutzt IOKOI, um sich selbst zu finden. Während wir im digitalen Zeitalter zunehmend nebeneinander her leben, hält sie inne und erinnert an das, was uns verbindet. So geschehen im Song „Bloody Life“, der wehmütig von intimen Begegnungen erzählt. Der Track „SOS“ übersetzt das Notsignal in die Komponenten „self “, „other“ und „same“. Miccichè stellt sie ohne Einordnung gegenüber und lädt ein, ihre Gemeinsamkeiten und Widersprüche zu reflektieren.  IOKOI verlangt ihren Hörer*innen – sollte diese Bezeichnung für ein solch komplexes Kunstwerk überhaupt zutreffen – einiges ab. Man muss sich darauf
einlassen wollen, doch
wird dann mit etwas belohnt, was reinen Musikgenuss übersteigt.
Miccichè sammelt und
verarbeitet Inspiration
und Gedanken bewusst
interdisziplinär und produziert so abstrakte Kunst. „Tales Of Another Felt Sense Of Self“ ist wie ein Museumsbesuch zu Hause: inspirierend. Ida Schelenz

 

Missy Magazine 03/21,Musikrezis,Hannah Peel FirWaveHannah Peel
„Fir Wave“
( My Own Pleasure )

Vielleicht war es die Begeisterung. Vielleicht auch nur das bloße Streben danach, etwas zu hinterlassen, das bleibt. Als Delia Derbyshire sich in den 1960er-Jahren dem BBC Radiophonic Workshop anschloss, gehörte sie als Frau zu den wenigen, die elektronische Musik für sich entdeckt hatten und einer breiten Hörer*innenschaft zugänglich machen wollten. Als Co-Komponistin wurde sie lange Zeit nicht erwähnt, erst mit ihrem Tod sollte Derbyshire in die Musikgeschichte eingehen als „Godmother of Electronic Dance Music“.  Schließlich ist es ihr Echo, das auf Hannah Peels neuem Album „Fir Wave“ anklingt. Denn dafür interpretiert die nordirische Elektro- Produzentin einige von Derbyshires Stücke aus den Siebzigern neu. Die Godmother selbst arbeitete mit analogem Sampling, hatte noch keinen Zugang zu Synthesizern oder digitaler Technik. Peel wiederum setzt genau diese ein, um ihre Sogkraft zu entfalten, alt und neu zusammenzubringen in einem schlafwandlerischen Rave! „It’s always an organic discovery of old and new“, erklärt sie und meint damit Entdeckungen in der Musik sowie im Leben generell. Das spiegelt sich auf ihrer LP originell wider in eindringlichen Beats, druckvollen Synths und
Blechbläsern, dazu engelsgleiche Vokalharmonien. Track um Track
durchläuft „Fir Wave“
die unterschiedlichsten Aggregatzustände
elektronischer Sounds mit einer bedächtigen Dynamik, die geradezu verführt und mitreißt. Vanessa Wohlrath

 

Missy Magazine 03/21,Musikrezis,Morcheeba Blackest BlueMorcheeba
„Blackest Blue“
( Kartel Music Group )

Mit „Blackest Blue“ veröffentlichen die britischen TripHop-Größen Skye Edwards und Ross Godfrey alias Morcheeba ihr zehntes Studio- Album, nachdem drei Jahre zuvor „Blaze Away“ erschienen war. Auf „The Blackest Blue“ bleiben Morcheeba dem mal etwas düsteren, immer atmosphärischen Down-Tempo-Bristol-Sound treu und fusionieren ihn mit Soul und Elektropop. Einer der beeindruckendsten Songs ist „Oh Oh Yeah“, weil Evans phänomenale Stimme besonders gut zur Geltung kommt. Er beginnt mit entspannten Gitarrenriffs von Godfrey, die uns auf Gänsehaut – beschert durch Edwards tiefe samtige Stimme – vorbereiten. Ein guter Track, um an einem hektischen Tag kurz die Augen zu schließen und ein paar Mal durchzuatmen. „Sounds Of Blue“ lädt uns ein, in die heilenden Tiefen des Ozeans abzutauchen. In dem Song beschreibt Edwards ihre Erfahrungen beim Freitauchen: „Breathe as I’m swimming down / free when I’m sinking down.“ „The Moon“ und „Falling Skies“ haben viel der TripHop-Düsternis, die
Gitarren klingen schon
fast etwas bedrohlich
und Edwards besingt
dunkle Straßen, Geister
und vergangene Liebe.
Um vergangene Liebe
geht es auch in „Say
It’s Over“, dem vierten Track des Albums, der als astreine Trennungsballade klanglich etwas aus der Reihe tanzt oder als solche eben ganz besonders heraussticht. Lisa-Tracy Michalik

 

Missy Magazine 03/21,Musikrezis Magic Island, So wrongMagic Island
„So Wrong“
( Mansions and Millions )

Kann man Reue und Sehnsucht wirklich voneinander trennen? Ist es Hass oder wilde Liebe, jemanden auslöschen zu wollen, der einem*r nicht gibt, was man will? Auf ihrem zweiten Album „So Wrong“ spielt Magic Island gekonnt mit den schwimmenden Grenzen zwischen tiefen Emotionen – und serviert ihre Gedanken konsequent auf sattem Sound aus Genre-Uneindeutigkeiten. Den zerbrechlichen Lo-Fi ihrer Anfänge findet man bei Magic Island a. k. a. Emma Czerny nicht mehr. Für ihr zweites Album hat sie erstmals mit einem Produzenten zusammengearbeitet. Phong Ho ist hauptsächlich in der deutschen Underground-Rapszene unterwegs und sorgt dafür, dass die Beats auf dem zweiten Album Magic Islands einem*einer so richtig in die Knie gehen. Gemeinsam mit Ho hat Czerny im Corona-Jahr an ihren Stücken gearbeitet und Elektropop entwickelt, der R’n’B-Einflüsse, Soul-Splitter, orientalische Klänge und Trap zu einem saftigen Sandwich schichtet. Die trompetenklare Stimme der gebürtigen Kanadierin bildet dabei die sphärische Antithese der teils düsteren und immer dichten Klangwelten – eine frühe FKA Twigs lässt grüßen. Czernys geliebte Wahlheimat Berlin-Neukölln wird dabei zum ultimativen Gestus der Künstlerin – unberechenbar, kühl, verletzlich und vor allem undurchdringlich. Czerny macht den Dualismus zur Protagonistin ihrer Musik und ihrer Geschichten und vermeidet dezidiert klare Antworten. Und genau das macht Spaß – schließlich weiß jede*r, wie gut sich Dinge anfühlen, die eigentlich „So Wrong“ sind. Silvia Silko

 

Missy Magazine 03/21,Musikrezis,Bachelor Doomin SunBachelor
„Doomin’ Sun“
( Lucky Number Music, VÖ: 28.05. )

Der Opener „Back Of My Hand“ lässt aufhor- chen: So etwas hat man sich als Teenager gewünscht, als es scheinbar „ausschließlich“ Post-Punk-Bands von und für cis Männer gab. Wer schon mal „If You Want It“ von Jay Som gehört hat, weiß, dass Melina Duterte eine grandiose Songwriterin ist. Gemeinsam mit Ellen Kempner von Palehound ist die Welt jetzt um eine Supergroup reicher. Rhythmische Gitarrenriffs, knackiger Bass, die Stimmen harmonieren – Bachelor liefern überraschende Songs. Es sind die Details in der Produktion, die „Doomin’ Sun“ frisch klingen lassen. Es ist keine Imitation, kein Revival irgendeiner Soundästhetik. Indie aus dem Jahr 2021: Der präsent gemischte Shaker, es ist der zeitgenössische Bedroom-Produktionsmix. Teilweise wird man an Sleater-Kinney in ihrer besten Phase erinnert, aber anders, harmonischer – mit Refrains, die in die Breite gehen. Aufgenommen wurde „Doomin’ Sun“ im Januar 2020 in einem
eigens gemieteten Haus
innerhalb von zwei Wochen und als erstes gemeinsames Projekt.
Man hört den Songs
ihre Spontanität an,
die Texte sind teilweise traurig, aber leicht. Unterstützt wurde das Duo auch von Buck Meek und James Krivchenia von Big Thief und Annie Truscott von Chastity Belt. Bachelors Debüt ist ein großartiges Projekt, das die Zusammenarbeit feiert. Franziska Schwarz

 

Missy Magazine 03/21,Musikrezis,Ziur AntifateZiúr
„Antifate“
( PAN )

Wie frei sich elektronische Musik entwickeln kann, wenn man keine Genregrenzen gelten lässt, zeigt die Berliner Produzentin und DJ Ziúr auf ihrem neuen Album „Antifate“: Anderthalb Jahre nach „ATØ“ abstrahiert und konkretisiert Ziúr ihre musikalische Vision gleichermaßen stark. Da sind einerseits die körperlosen Stimmen im Opener „Alive, Unless“, die in Kombination mit Dub-Bässen und knarzenden Beats eine Unwucht entwickeln, die die Hörer*innen förmlich ins Schlingern bringt, da ist andererseits aber auch ein fast schon verträumt und poppig zu nennendes Stück wie „Fringe Casual“, das auf warmen Klaviertönen und Streichern aufbaut. Elektronische und akustische Instrumentierung verschmelzen auf „Antifate“ immer wieder miteinander, wie im streicher- und flötengetragenen Schlusstrack „The Carry“, der Spuren klassischer Musik in sich trägt. Konventionen werden jedoch durchschnitten bzw. erweitert durch verzerrte Rhythmen, die nicht zum Tanzen gemacht sind und dennoch Bewegung provozieren: Das perkussive „Aka Doctor Opp“ z. B. ist eher Film- als Clubtrack, ebenso wie das darauf folgende „The Dip“, das schwerelos dahinzuschweben scheint, bis Stimm- und Beatsplitter eine völlig andere Atmosphäre entstehen lassen. Ziúrs Musik schafft einen eigenen Raum, in dem Freiheit nicht nur gefordert, sondern ermöglicht wird. Kompromisslos, aber auch zärtlich und voller Hoffnung. Christina Mohr

 

Missy Magazine 03/21,Musikrezis,Sophia Kennedy MonstersSophia Kennedy
„Monsters“
(City Slang )

Beginnen wir mit dem Ende. Nach dem letzten Song von „Monsters“ hören wir Sophia Kennedys inzwischen verstorbene Großmutter am Telefon sagen: „I am glad you’re meeting interesting people and you like the city.“ Ein simpler Satz, der das Leben von Großstädter*innen gut zusammenfasst, aber die interessantesten People sind nicht unbedingt die nettesten und
die City ist kaputt und
dreckig. Sophia Kennedy – in Baltimore aufgewachsen, in Hamburg
lebend – weiß darüber
Bescheid. Gekonnt taumelt sie mit ihren Songs durch die Kaputtheit, die Widersprüche und die durchtrunkenen Nächte auf dem Nachhauseweg in einen Tag, an dem man sich ein bisschen krank fühlt, ein bisschen allein, ein bisschen ängstlich. Aber es wird auch wieder großartig werden, oder? Sophia Kennedy, die vor vier Jahren mit ihrem grandiosen Debütalbum einschlug, ist immer noch verdammt cool – so cool, wie man halt sein kann, wenn man dabei liebenswürdig bleibt – und noch vielfältiger geworden: Pop, Rap, Synthies, Beats und ihre tiefe Stimme, mit der sie wie auf einem eigenen Instrument spielt. Mal ist sie Jekyll, mal Hyde, mal isst sie ein orangenes TicTac. Am Anfang warnt sie: „Animals Will Come“. Vielleicht kommen da aber auch unsere eigenen Monster – interesting people auch sie –, mit denen es sich dank Sophia Kennedy wunderbar tanzen lässt. Juliane Streich

Diese Texte erschienen zuerst in Missy 03/21.