Von  Arpana Berndt

Welche Poster hattet ihr in euren Teenie-Zimmern hängen? Die Poster in der Mitte von Jugendzeitschriften waren für meine Freund*innen und mich auf jeden Fall ein Kaufgrund. Wir tapezierten unsere Wände mit Bildern von Sänger*innen, Schauspieler*innen und Celebrities von denen man vielleicht auch nicht ganz genau wusste, warum sie bekannt waren. Mit doppelseitigem Klebeband oder Pinnnadeln zerstörten wir die Tapeten in unseren Zimmern jedes Mal etwas mehr, wenn wir veraltete Poster durch neue tauschten – nur damit wir, wenn wir in unseren Betten lagen oder beim Hausaufgaben machen, zu unseren Idolen aufblicken konnten: Wir gaben sehr viel darauf, was sie machten, welche Kleidung sie trugen und was sie zu sagen hatten, orientierten uns an ihnen und eiferten ihnen mehr oder weniger unhinterfragt nach.

© El Boum

In denselben Zeitschriften von damals sind heute neben Stars und Influencer*innen auch Personen gesellschaftlicher Diskurse abgebildet – Personen, die Bewegungen um Feminismus oder Klimagerechtigkeit repräsentieren sollen.  Komplexe Diskurse werden so auf Einzelpersonen reduziert und bieten so einen leichteren Zugang. Aber es ist eben auch einfacher, eine Person zu präsentieren, die für eine ganze Bewegung sprechen soll, anstatt ein Thema differenziert, aus vielen Perspektiven und mit allen Widersprüchlichkeiten zu behandeln. Diese Personifizierung von Diskursen findet auch außerhalb von Jugendzeitschriften statt und ermöglicht vom eigentlichen Thema abzulenken.

Die Handlungen und Biografien einzelner Personen werden idealisiert – weil es leichter ist, sich an ihnen zu orientieren, statt vielstimmige Diskurse auszuhalten. So können die Personen allerdings zu Tokens werden, die sich nicht mehr in ihren eigenen Positionen entwickeln dürfen, sich selbst hinterfragen können oder eigene Aussagen revidieren dürfen. Die Kehrseite dieser Idealisierung ist das bekannte Ablenkungsmanöver, Themen, die auf struktureller Ebene behandelt werden müssten (Rassismus, Sexismus, Klimakrise, …), auf individuelles Verhalten zu reduzieren. Die Aktivistin, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzt, aber mal einen Shake aus Kuhmilch trinkt, wird für ihre Ernährung geshamed – und damit wird ihre Glaubwürdigkeit in Frage gestellt.

Arpana Aischa Berndt

ist Autorin und in der politischen Bildungsarbeit tätig. Sie studiert Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus und beschäftigt sich in ihrer Abschlussarbeit mit Horror und Empowerment. In ihren Workshops behandelt sie Fragen zu Allyship, Allianzen und Rassismuskritik. Auf Instagram ist sie unter @a_aischa zu finden. Foto: cv studio berlin

Natürlich sind Biografien und die damit verbundene Glaubwürdigkeit nicht unwichtig. Jede Bewegung hat Personen, die für sie sprechen und andere mobilisieren. Die Frage danach, wessen Belange in gesellschaftlichen Bewegungen Aufmerksamkeit bekommen, geht aber auch immer einher mit der Frage nach Sicherheit: Wer kann es sich leisten in der Öffentlichkeit zu stehen? Sichtbarkeit geht für marginalisierte Personen mit Unsicherheiten und nicht selten konkreten Bedrohungen einher: Gewalt oder Androhung von Gewalt, die auf Rassismus, Sexismus, Transfeindlichkeit und weiteren Intersektionen beruht. Der Weg sollte aber nicht sein, diese Stimmen deshalb zu übergehen, sondern sich zu Fragen wie diejenigen die sprechen wollen unterstützt und geschützt werden können. Wie Handlungsspielräume geschaffen werden können, für diejenigen deren Biografien eben auch Widerstand gegen diese Gewalt und Ausgrenzung miterzählen. Biografien machen vor allem auch deutlich, welche Perspektiven in gesellschaftlichen Diskursen immer untergehen, nicht mitgedacht und ernst genommen werden.

Nehmen wir zum Beispiel die Klimagerechtigkeitsbewegung. Selbst denjenigen, die sich nicht mit dem Thema beschäftigen sind die Namen Luisa Neubauer und Greta Thunberg ein Begriff. Aber schon mal was von der Anwältin Yi Yi Prue gehört, die mit 14 weiteren Mitkläger*innen aus Bangladesch und Nepal ebenfalls eine Klimaklage gegen Deutschland eingereicht hat? Die davon spricht, dass es ihr darum geht, für das Überleben von marginalisierten Menschen zu kämpfen, die jetzt schon die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren bekommen? Sie versucht, Deutschland und deutsche Klimabewegungen in die Verantwortung zu ziehen, sich nicht nur für eine Zukunft einzusetzen, sondern auch für das Überleben in der Gegenwart und dokumentiert dafür die Auswirkungen des Klimawandels auf indigene Gemeinschaften der Munda, Marma und anderer marginalisierter Gruppen in Bangladesch. Trotz der erfolgreichen Klage und ihrer weitreichenden politischen Bedeutung bekommt Yi Yi Prues Arbeit hier kaum Aufmerksamkeit – noch nicht mal in der Bewegung, die für Klimagerechtigkeit kämpfen will. So wird nicht nur eine Perspektive übergangen, sondern die Tür für weitere Perspektiven bleibt verschlossen.