Text: Sascha Rijkeboer
Illustration: EL BOUM

Bei meiner Arbeit an der Bar zapfe ich des Abends im Fünfminutentakt Bier, in einer Tagesschicht brühe ich im Fünfminutentakt Kaffee. Manch eine*r mag meinen: Ich klopfe dabei lediglich den Siebträger aus, fülle ihn, drücke einen Knopf und dann kommt ein guter Kaffee raus. Das ist ein Irrtum: Auch bei den besten Kolbenmaschinen ist kontinuierliche und präzise Arbeit gefordert, um den sogenannten Sweet Spot in einem Espresso zu finden. Das bedeutet, den sensorisch perfekten Mittelpunkt zwischen Säure und Bitterkeit auszudrücken. Ihn zu finden, bereitet mir eine große Freude. Er ist aber so fluid wie Geschlechtsidentitäten, er entwischt einer*m schon wieder nach Minuten, z. B. weil sich die Raumtemperatur ändert.

Je öfter ich den „Sweet Spot“ mit unserer Kaffeemaschine suche, desto öfter identifiziere ich mich mit ihm. Meine Genderperception ist nie ausbalanciert. Sie trifft nie einen „Sweet Spot“. Ich werde entweder als sauer oder bitter wahrgenommen (Ausnahme: queere Partys, da gibt es lauter „Sweet Spots“).

Sascha Rijkeboer

Sascha hieß nicht immer Sascha. Aber jetzt heißt Sascha so. Sascha kam 1992 in den Niederlanden als Kind eines holländisch/tschechischen Paares zur Welt. Zur Zeit arbeitet Sascha in einer Bar in Basel, setzt sich für queerfeministische Anliegen ein und leistet als non-binäre trans Person Öffentlichkeitsarbeit in unterschiedlichen Kontexten, z. B. schreibt Sascha aktuell Kolumnen für Bajour und das Missy Magazine. Sascha tourt mit einem queer Spoken-Word-Programm in der Deutschschweiz.

Bspw. auf meinem kurzen Heimweg: Ich streife das Rotlichtmilieu, wo ich von den Sexarbeiter*innen ignoriert werde, wenn ich femme-presenting bin (das kann schon nur mein rosa Regenmantel sein). Wenn sie mir ins Gesicht sehen, nicke ich ihnen freundlich zu, ich wünsche einen schönen Abend, vielleicht gebe ich noch eine Kippe ab. Bin ich auf meinem Nachhauseweg hingegen male-presenting (z. B. mit schwarzem Mantel, vielleicht einer Cap, mit spielerischem, durch Augenbrauenpuder hervorgehobenem Baby-Schnauzer), wird mir von den Sexarbeiter*innen zugerufen, ob ich mit ihnen nach Hause gehen möchte. Nur kurz, ein bisschen Spaß, komm doch noch mit. Wenn ich abwehre, werde ich an meiner Stimme sofort als Frau gelesen: „Oh, du bist eine Frau, sorry, ich dachte, du wärst ein Mann!“

Einige befreundete cis Männer haben sich schändlicherweise darüber beklagt, in ebendieser Straße von Sexarbeiter*innen angesprochen zu werden. Ich finde ihr Beklagen eine Frechheit! Schön, dass sie auch mal auf ihr Geschlecht reduziert werden und ihnen eine hinterherpfeift und es sich für sie nicht gut anfühlt, weil sie auf ihr Geschlecht reduziert werden. Weiblich gelesenen Menschen wird ständig und in basically JEDER ANDEREN Straße wegen irgendwas nachgerufen!

Ich schäme mich dann aber manchmal. Sowohl dafür, Sexarbeiter*innen für einen Cat-Calling-Vergleich heranzuziehen, als auch dafür, selbst so whiny zu sein, wenn ich in dieser Straße für einen Mann gehalten werde. Ich glaube, im Kern teilen die cis Männer und ich nämlich das gleiche Unbehagen: Es ist uns unangenehm, dass angenommen wird, dass wir Sexarbeit kaufen möchten, obwohl alle Körper in ihrer Arbeit gekauft werden. Ironischerweise werden im allgemeinen Diskurs rund um Sexarbeit nicht die Freier diskutiert (es sei denn z. B. im skandinavischen Modell, das sich aber negativ auf die Sexworker*innen auswirkt), sondern jeweils die Verwerflichkeit dieser Arbeit.

Im Unterschied zu den sich beklagenden cis Männern gesellt sich bei mir aber noch eine queere Geschlechtsidentiät hinzu. Ich werde erst als falsch-bitter, dann als falsch-sauer wahrgenommen. „Oh, du bist eine Frau, sorry, ich dachte, du wärst ein Mann.“ Das einzige Privileg, das ich in dieser Verwechslung sehe: Ich kann zur Komplizin werden, unbekümmert einen Schwatz halten, mit ihnen eine Zigarette rauchen.

Meine Sweet-Spot-Issues stellen sich aber täglich und überall ein, nicht nur auf dem Nachhauseweg. Während ich einen Espresso brühe und hoffe, dass sich eine Ausgewogenheit im Getränk einstellt, werde ich von einer Gästin als Frau bezeichnet. „Nein, Regula, ich habe schon bei ihr bezahlt, du kannst dich schon mal hinsetzen.“ Manchmal entgegne ich: Ich bin keine „sie“, worauf mich die Leute verdutzt ansehen und nicht wissen, wie sie mit dieser Konfrontation umgehen sollten. Gelegentlich werden sie sogar ein bisschen böse auf mich, wenn sie gnädig sind, dann sagen sie „er“ zu mir. In meiner Position als Servicepersonal sollte ich es ihnen aber eigentlich gemütlich machen und sie sicher nicht herausfordern. Es gibt Momente, da lässt die Zeit (unglücklicherweise) eine Konversation zu, in der sich diese cis Menschen durch mein Durchkreuzen ihrer Vorannahmen dazu eingeladen fühlen, jegliche Frage zu stellen, die man in ein Trans-Bingo packen könnte. (Für Trans-Bingo-Beispiele: siehe Fußzeile am Ende des Texts.)

Es gibt einen seltsamen Moment an meinem Arbeitsplatz hinter der Bar, an dem ich einen absurden „Sweet Spot“ wahrnehme: Ich erlebe nämlich sehr viel Sexismus am Arbeitsort, aber ich erlebe keinen Sexismus am Arbeitsort. Was ich mit dieser kleinen Sinnspielerei sagen möchte: Ich werde vor allem Zeug*in von Sexismus, aber er widerfährt mir nicht.

Ich beobachte bei meinen Mitarbeiterinnen sehr viel Reduktionen, Bevorzugung und Abwertungen, flirtende Blicke, unangenehme Kommentare, grenzüberschreitende Kommentare und Gefallen an ihnen. Ich erlebe hingegen weder das Interesse noch die Aufdringlichkeiten in ähnlicher Qualität, obwohl ich als Frau gelesen werde. Ich scheine hier ein außerordentliches Genderfuck-Privileg zu haben. Queere Menschen freuen sich regelmäßig, mich zu sehen, überhäufen mich mit liebevollen, anerkennenden, aber angenehm rücksichtsvollen Komplimenten und gehen dann gerührt und zurückhaltend ihren Eistee trinken. Cis-hetero Menschen misgendern mich zwar konstant, aber ich habe den Eindruck, dass sie mich jeweils an meinen Kompetenzen messen. Meine Mitarbeiterinnen hingegen werden nie misgendert, aber ständig als Einladung gesehen, eklige Kommentare zu droppen. Für all die cis Männer, die bis hierhin gelesen haben: Ein Kompliment wie „Danke für den netten Service“ oder „Danke für euer Durchhalten, das sieht ja total stressig aus an der Bar“ sind gute Komplimente (es sei denn, es ist nicht stressig an der Bar, dann ist es schmierig und blöd). Ein Kompliment über das Aussehen oder Fragen wie „Wann bist du mit deiner Schicht fertig? Zwinker Zwinker“ sind keine coolen Aussagen. Überhaupt alles, das ein bisschen zu zwinkerisch daherkommt, kann unangenehm sein. Ich glaube, ich kann im Namen aller sprechen, mit denen ich bisher gearbeitet habe: Wenn du eine so lässig findest, dass du eine Verbindung herstellen möchtest, dann schreib einfach deine Nummer auf einen Zettel, gib ihn an der Bar ab, verpiss dich und erwarte nicht, dass dir jemals geschrieben wird. Falls das doch geschehen sollte: nice! Die Person findet dich auch cool und konnte sich selbstständig dafür entscheiden, auf dich zuzugehen.

Sweet, sweet respectful spot.

Meine „Sweet Spots“ in einer heteronormativen Welt sind irritierend, meistens frustrierend, manchmal ein Privileg. In unserer pervers vergeschlechtlichten Welt, die immerzu unterscheiden möchte: sauer oder bitter, sauer oder bitter, sauer oder bitter; wird mein Kämpfen um das Erreichen eines „Sweet Spots“ zu meinem täglichen Beobachtungsfeld dieses Fetischs. Ich hoffe, meinen „Sweet Spot“ als non-binäre Person in dieser Welt dennoch etwas nachhaltiger festhalten zu können als denjenigen an der Kaffeemaschine, der mir ständig entwischt und ins Binäre kippt. Zu bitter, zu sauer.

Zum Leid aller Sensoriker*innen wünsche ich mir, dass wir sauer und bitter nicht mehr zu unterscheiden anstreben und vielleicht sogar: einfach verlernen.


Beliebte Trans-Bingo-Fragen: Also bist du transsexuell? Wie hast du das herausgefunden? Wie hast du das deinen Eltern gesagt? Wie finden das deine Eltern? Ist das nicht schwer? Welche Genitalien hast du? Welche Genitalien wirst du haben? Hast du Sex? Ist es nicht schwer, Sexualpartner (sic) zu finden? Welche Toilette(n) benutzt du? Bist du jetzt eine Frau oder ein Mann? Was warst du früher? Was war dein früherer Name? Kommen deine Geschwister damit klar? Welche Operationen hast du gemacht? Welche Operationen wirst du noch machen? Machst du eine Umwandlung? Das ist doch nur ein Trend! Was ist mit den Kindern? Willst du so aber immer noch Kinder? Deine Kinder würden sicher gemobbt! Du wärst viel hübscher als XX! Ich finde, du siehst viel besser aus als YY! Aber ihr seid ja nur eine Minderheit? Kennst du ZZ [kann durchaus von einem anderen Kontinent kommen], die war früher auch eine Frau? Kennst du ZZ, der war früher ein Mann und ist jetzt eine Frau? Du bist die erste Person, die ich treffe! Ich finde das total spannend! Ich bin sehr offen! Ich kenne auch jemanden! Erzählst du mir mehr davon? Nein, ich möchte nicht darüber lesen, ich möchte viel lieber, dass du mir jetzt selbst davon erzählst!