Interview: Hengameh Yaghoobifarah
Fotos: Annie Tritt

Die deutschsprachige Übersetzung deines Romans „Detransition, Baby“ ist großartig. Oft scheitern große Verlage daran, eine zeitgemäße Sprache für queere Literatur zu finden. Stellst du besondere Bedingungen an den Übersetzungsprozess?
Ich gebe den Übersetzenden alle Freiheiten. In der brasilianischen Version wurde „queer“ als „LGBT“ übersetzt. Das würde ich selbst nie so sagen, queer und LGBT sind keine Synonyme.

Kennst du den TikTok-Sound „Something LGBT just happened to me“? Seitdem benutzen meine Freund*innen und ich „LGBT“ als Adjektiv, z. B.: „Wow, du siehst heute richtig LGBT aus.“
Das ist so lustig. Ein Fotograf meinte zu mir neulich: „Bist du eigentlich … entschuldige bitte, ich kenne deine ganzen Buchstaben nicht.“ Ich habe gesagt, das ist nicht schlimm, du

musst meine Buchstaben nicht kennen. Meine Buchstaben sind sehr privat, du kannst nicht einfach rumlaufen und Leute nach ihren Buchstaben fragen.

Und dann werden Buchstaben unterschiedlich übersetzt.
Es gibt den Trend zur Hegemonie englischer Begriffe. Debatten werden exportiert, ohne die Fragestellungen auf den jeweiligen Kontext anzupassen. Gleichzeitig drehen sich auch in den USA manche dieser Diskussionen im Kreis. Mir geht es nicht darum, zu sagen: So machen wir es auf Englisch und alle müssen sich daran orientieren. Da hat jede Sprache eine eigene Lösung. Außerdem sind Bezeichnungen nicht in Stein gemeißelt. Eine Zeit lang wurde trans im Englischen mit einem Asterix versehen, bis sich trans Leute darauf geeinigt haben, dass das Sternchen nervt.

Missy Magazine 03/22, Titelstory, Torrey Peters, Leute nach ihren Buchstaben fragen
© Annie Tritt

Dein Roman verhandelt das Thema Familie mit einem sehr spezifischen Szenario: Nachdem er seine Chefin Katrina unerwartet geschwängert hat – er sollte nach seiner Detransition eigentlich nicht mehr dazu fähig sein –, versucht Ames, seine Exfreundin Reese als Co-Mutter an Bord zu holen. So wie deine eigene Stimme, ist der Ton sehr lebhaft und witzig. Wie lief die Suche nach dem Sound?
Es gibt zwei Erzählstimmen – die von Ames und die von Reese – und sie repräsentieren auf eine Art meine zwei verschiedenen Seiten. Reese ist mehr femme und etwas gehässig. Wenn ich meiner bitchy Seite freien Lauf geben würde, klänge ich wahrscheinlich wie sie. Die andere Seite in mir ähnelt eher Ames. Mich hat es interessiert, aus einem Ort der Dissoziation zu schreiben. Beim Schreiben geht es oft um Lebhaftigkeit und Sinnlichkeit. Aber wenn du dissoziiert bist, wird deine Wahrnehmung distanzierter. Wie klingt eine abwesende Figur? In meinem ersten Entwurf war Ames’ Stimme sehr ernst. Ich habe die Stimme in einer schwierigen Zeit entwickelt. Ich war mit einer befreundeten Person für eine Operation in Mexiko. Mein Pass war noch nicht geändert, deshalb trug ich einen Anzug für die Reise. Die Airline hat meinen Koffer verloren, also hatte ich eine Woche nur meinen schwarzen Anzug an. Das war so seltsam, ich war mit trans Leuten für trans Operationen dort unterwegs und bin in diesem schäbigen „Reservoir Dogs“-Outfit rumgelaufen. Ich fühlte mich so dissoziiert. Ich bin hier, um trans Dinge zu tun, sehe aber aus wie ein androgyner Möchtegern-Gangster. Nach dieser Reise habe ich Ames’ Stimme gefunden. In Dissoziation kann auch Humor liegen. Wenn wir so etwas sagen wie „Ich hatte gerade einen LGBT Moment“, müssen wir einfach lachen. Im trans Alltag passieren dir schreckliche Dinge, aber auch lächerliche. Sobald du realisierst, dass Geschlecht irgendwie lustig und dumm ist, wird die Vorstellung, ein Gender zu wechseln, urkomisch.

Neulich habe ich eine Sammlung literarischer Beiträge von queeren und trans Autor*innen gelesen. Bei den meisten Texten dachte ich: Uff, das ist so deprimierend. So viel Trauma Porn und Ernsthaftigkeit. Einige trans Autor*innen erlauben sich keine Witze. Ich frage mich, ob Leute denken, ihre Belange werden nicht ernst genommen, wenn sie witzig sind. Natürlich machen trans Leute gewaltvolle Erfahrungen. Aber es ist ja nicht ausschließlich scheiße, queer zu sein.
Die LGBT Experience kann witzig und gleichzeitig traumatisierend sein! Das war mir beim Schreiben sehr wichtig. Ich komme aus einer trans Schreibszene aus Brooklyn, die sich zwischen 2013 und 2014 gebildet hat. Größtenteils haben wir für ein trans Publikum geschrieben. Wenn du so etwas schreibst wie: „Es ist so anstrengend, zur Ärztin zu gehen“, dann geht es um eine Erfahrung, die trans Leute selbst kennen. Das musst du ihnen nicht noch mal erklären. Das ist langweilig. Also, wie machst du aus dieser Erfahrung Kunst? Wenn du für ein trans Publikum schreibst, musst du weder alle trans Leute repräsentieren, noch Angst davor haben, dass deine Authentizität infrage gestellt wird. Du musst dein Transsein nicht unter Beweis stellen, indem du eine Resilienzgeschichte schreibst. Wenn die Last der Repräsentation abgelegt ist, kannst du ehrlich über dich selbst sprechen. Manches in meinem Leben war leicht, anderes nicht. Ich habe Spaß an albernen Dingen. Ich habe auf deinen Bildern gesehen, dass du Zehenschuhe trägst. Ich hatte auch mal ein Paar! Und ich erinnere mich, dass alle sie richtig eklig fanden. Dann meinte ich immer: Das ist meine wahre Unterdrückung. Diese Art von Humor funktioniert nicht ohne Kontext. Natürlich ist Barfußschuhrepression nicht das schlimmste Schicksal einer trans Person. Der Witz funktioniert nicht ohne Kontext. Worin ich aufgehe, ist, die Erzählung auf eine Spezifität runterzuschleifen und diese Spezifität durch eine Art Wurmloch zu ziehen, die in Universalismus mündet. Ein trans Buch muss nicht alle trans Realitäten abbilden. Ich möchte die gleichen Freiheiten haben, die sich alle anderen Autor*innen auch nehmen.

Hattest du beim Schreiben Angst davor, dass manche Erzählungen in dem Roman zu gewagt sind für cis Leser*innen?
Als ich das Buch begonnen habe, hatte ich keinen Verlag und keine Agentur. Ich hatte meine Freund*innen als Zielgruppe im Kopf. Das hat mir viele Freiheiten gegeben und mir erlaubt, Witze zu machen, für die ich sonst zu unsicher gewesen wäre. Es gibt das Risiko, dass bigotte Menschen so eine Erzählung für sich instrumentalisieren. Aber für dieses Publikum habe ich nicht geschrieben. Ich habe jetzt mehr Angst, dass meine Reichweite mich für meinen nächsten Roman zügelt und ich mich selbst zensiere. Aber weißt du was? Wenn cis Leute nicht missgünstig und voreingenommen sind, können sie mit meinem Buch mithalten. So wie ich Bücher von Schwarzen oder muslimischen Autor*innen lese. Ich will nicht, dass sie sich selbst zensieren, weil ich ihr Buch lesen könnte. Ich will nicht, dass sie denken: „Das hier wäre meine beste Story, aber ich schraube sie auf achtzig Prozent runter, weil es sein könnte, dass ein Idiot mein Buch liest.“

Hast du Backlash von trans Leuten bekommen?
Das gab es auch. Ich denke aber nicht, dass als problematisch bezeichnet zu werden das Schlimmste ist, was einer Person passieren kann. Trans Leute können mich problematisch nennen, das ist ihr Recht. Ich halte nichts von dem Anspruch, ein Buch zu schreiben, ohne Kritik zu ernten. In welcher Welt schreibst du ein Buch und alle sind nett zu dir? Du schreibst ein Buch und Leute sagen dir, dein Buch ist scheiße, du liegst falsch und du hast Leute beschämt! Rege ich mich über solche Kommentare auf? Ja! Aber ich denke nicht, dass ich es verdiene, von Kritik verschont zu bleiben. Ich will eine Geschichte erzählen, die dringlich ist. Mir ist es lieber, auszusprechen, woran ich glaube, und zu hören, dass ich falsch liege, und damit einen Umgang zu finden, als nur die Hälfte auszusprechen und keine Reaktion zu bekommen.

Missy Magazine 03/22, Titelstory, Torrey Peters, Leute nach ihren Buchstaben fragen
© Annie Tritt

Immer wieder begegnet mir die Erwartungshaltung, dass sich Figuren in Fiktion moralisch einwandfrei verhalten sollen.
Das verwehrt uns die künstlerische Bandbreite. Mir ist der Blick auf die künstlerische und politische Ebene wichtig. Schon Aristoteles sagte, dass der Kernpunkt von Narration der Konflikt ist. Es gibt so viele Techniken, durch Erzählung Konflikte zu lösen oder mit ihnen zu spielen. Warum sollte ich mir diese Werkzeuge vorenthalten? Ich glaube nicht, dass das Auslassen von Konflikt oder von schwierigen Charakteren die richtige künstlerische Einschränkung ist, um eine politische Weltanschauung auszudrücken.

Dennoch steckt viel politische Debatte in dem Roman. Interessant ist es z. B., wenn Reese Oppression Olympics spielt und von Katrina ausgedribbelt wird, weil Mutterschaft eben nicht nur für trans Frauen ein aufgeladenes Thema ist.
Als ich in Amys Kapiteln über Dissoziation geschrieben habe, dachte ich in den ersten Entwürfen, dass das ein spezifisches trans Thema ist, beim Sex zu dissoziieren, weil der Körper, den ich gerne hätte, von dem abweicht, den ich habe. Dann habe ich mit cis Frauen gesprochen und sie sagten, diese Dissoziation beim Sex passiere ihnen ständig. Ich dachte immer, dass diese Erfahrung etwas ist, das mich als trans Person ausmacht. Mit der neuen Einsicht musste ich alles noch mal überdenken. Das hat mir eine Solidarität eröffnet. Zu verstehen, dass es fast allen Menschen so geht, beim Sex zu dissoziieren und sich einen anderen Körper zu wünschen, hat mir wiederum geholfen, mich in meinem Körper besser zu fühlen. Wenn sich Reese und Katrina also darüber streiten, wer es schwerer hat, ein Baby zu haben, stellt sich heraus, dass keine Mutter es leicht hat. Selbst eine weiße cis Frau mit Geld wird sich anhören müssen, etwas in der Mutterschaft falsch zu machen. Jeder wird gesagt, dass sie als Mutter unfähig ist.

Missy Magazine 03/22, Titelstory, Torrey Peters, Leute nach ihren Buchstaben fragen
© Annie Tritt

Es gibt mehrere Dinge, die du aus einer trans Linse heraus betrachtest und dennoch universal verhandelst. Mutterschaft, Dissoziation, aber auch Transition.
Ich widme das Buch geschiedenen cis Frauen. Eine Scheidung ist auch eine Transitionsgeschichte. Du entscheidest dich für eine Lebensform, du scheiterst, du musst dich neu orientieren. Als der Film „The Danish Girl“ rauskam, haben sich viele über die Besetzung der Figur Lily Elbe aufgeregt. Ich fand es schlimmer, wie der Film Transition erzählt. Lily Elbe wurde wie eine Naturgewalt dargestellt, die aus einer unerklärlichen Dringlichkeit heraus wie ein Hurrikan das Leben aller Menschen um sie herum in Tumult versetzt. Die Motivation dieser trans Figur ist unverständlich. Dabei ist es doch eher so: Du arbeitest bei der Feuerwehr und willst dann lieber in die Buchhaltung gehen. Du lebst in einem Land und willst doch in ein anderes. Auch mit solchen Entscheidungen verursachst du Chaos im Leben anderer. Eine Gendertransition ist nicht dasselbe wie eine Migration, aber ich denke schon, dass die Dringlichkeit zu transitionieren nicht so verwirrend ist, wie es oft dargestellt wird. Und die Auswirkungen einer Transition – das Gefühl, missverstanden zu werden, Angst davor, etwas zu bereuen, Verluste zu spüren, Scham –, diese Gefühle kennen viele durch Veränderungen wie Umzüge oder Jobwechsel, es sollte nicht schwerfallen, Empathie mit trans Personen zu haben.

In Deutschland dominieren TERFs die Debatte um Detransition. Sie instrumentalisieren die Geschichten von detrans Leuten für ihr Narrativ der aufdringlichen trans Lobby, die unsere Jugend verdirbt. Dein Roman geht gar nicht erst darauf ein, sondern hat einen queeren Ansatz.
Es gibt bigotte Menschen – ich nenne sie nicht mal TERFs, sondern einfach Fanatiker*innen –, die Bücher wie meines instrumentalisieren. Aber warum sollte ich beim Schreiben an Fanatiker*innen denken? Ich ändere mein Leben nicht ihretwegen. Mir ist es egal, was sie darüber denken. Viel wichtiger ist es mir, was detrans Leute über mein Buch denken. Für Fanatiker*innen ist diese Debatte nur ein Vorwand, um ihre Ideologie durchzusetzen. Ich denke nicht, dass ihnen das Thema gehört. Detransition betrifft Menschen, die durch eine Transition gegangen sind. Wer nicht transitioniert ist, kann auch nicht detransitionieren. Die Mehrheit der Menschen detransitioniert nicht aus Reue, sondern weil ihnen das Leben als trans Person schwergemacht wird. Ich würde es gerne einen Schritt weiter denken: Lass uns diese Möglichkeit der Reue als Motivation durchspielen. Ich denke: Was soll’s, wenn du eine Veränderung bereust? Menschen ziehen von einer Seite des Landes zur anderen um, dann geht der Plan nicht auf. Dann sagst du: Sorry, ich hab mein Bestes gegeben, es hat einfach nicht funktioniert. Niemand wird sagen: Du bist ein Freak, wir können nicht mit dir umgehen, wir stoßen dich aus unserer Community aus, weil du etwas ausprobiert hast, das nicht geklappt hat. Es ist hässlich, wie das Thema Reue instrumentalisiert wird. Unterschwellig wird gesagt: „Du hast deinen Körper ruiniert.“ Und das geht gar nicht. Die Menschen, die ich kenne, die detransitionieren, wollen nicht alles rückgängig machen, sondern gehen vielleicht nur einen Schritt zurück und sagen, das war mir zu viel. Und die Körper haben sich verändert, aber ihnen zu sagen, sie hätten ihre Körper ruiniert, ist ein abscheulicher Move. Die Detransitionsdebatte soll Leuten Angst machen. Sie ist aufgeladen mit engstirnigen Annahmen über Körper, um Leute davon abzuhalten, etwas auszuprobieren, Entscheidungen zu treffen, um sie kleinzuhalten. Und ich würde niemals eine Haltung unterstützen, die Menschen klein, beängstigt und ruhig halten will. Das ist nur ein Werkzeug, um andere zu beschämen. Das Geheimnis, um Scham aufzubrechen, ist, zu benennen, was passiert. Sobald Scham ausgesprochen ist, merken wir, dass es eigentlich keine große Sache ist. Detransition ist keine große Sache.

Welche Autor*innen haben dich inspiriert, so zu schreiben?
An erster Stelle ist da eine ganze Reihe an trans Autor*innen: Casey Platt, Imogen Binnie, Sybil Lamb, Jackie Ess, T Fleischmann. Aber auch James Baldwin und Toni Morrison, weil sie eine Vorlage dafür geschaffen haben, ehrlich in eine Dominanzkultur hineinzuschreiben. Außerdem liebe ich Virginia Woolf und Scott Fitzgerald. Ich liebe es, wenn Autor*innen die volle Bandbreite an Werkzeugen für ihre Erzählung nutzen. Wer diese Kunst beherrscht, ist Elena Ferrante. Sie arbeitet nicht nur mit den angesehensten Werkzeugen, sondern auch mit denen, die belächelt werden: Genre, Soap Opera, Cliffhanger, Horror! Ihre Geschichte ist so dringlich, dass sie alle Mittel nutzt, um sie zu erzählen. Das hat mich inspiriert.

Torrey Peters „Detransition, Baby“Aus dem amerikanischen Englisch von Frank Sievers &Nicole Seifert. Ullstein, 464 S., 24 Euro

Dieser Text erschien zuerst in Missy 03/22.