Text: Dalia Othman für Goethe Institut
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Wenn man sich die Regionen Südwestasien und Nordafrika heute ansieht, die in vielen Ländern durch gesteigerten Autoritarismus und einen finanziellen Zusammenbruch gekennzeichnet sind, erkennt man leicht, dass es den Revolutionen und Aufständen des letzten Jahrzehnts nicht gelungen ist, die angestrebten Ziele Freiheit und Gleichheit zu erreichen. Doch man sollte auch nicht die positiven Veränderungen übersehen, zu denen es in diesem Zeitraum gekommen ist, vor allem, was die feministische und queere Wissensproduktion und Widerstandskraft betrifft.

Die Hoffnung, die während der Aufstände aufkeimte, führte zu einem Anstieg der Zahl feministischer Initiativen und Gruppen, die daran arbeiteten, feministischen und queeren Anliegen durch Wissensproduktion auf Arabisch eine größere Sichtbarkeit zu verschaffen. Diese Wissensproduktion wurde ein entscheidender Teil des Widerstands gegen vorhandene, patriarchalischen Normen entstammende Mainstream-Narrative. Die Tatsache, dass diese Wissensproduktion auf Arabisch erfolgte, war darüber hinaus ein klarer Versuch, dieses Wissen zu dekolonisieren und ihm eine Grundlage in den verschiedenen lokalen und gesellschaftspolitischen Kontexten der Region zu verschaffen.

© Jeem
© Jeem

Ich arbeitete für Jeem, das ist eine dieser Initiativen, die gegen Ende des letzten Jahrzehnts entstanden. Jeem wurde zunächst als ein Projekt des Goethe-Instituts ins Leben gerufen und ist inzwischen eine unabhängige, feministische Medienorganisation, die in Berlin ansässig ist und von Menschen aus der Region betrieben wird. Unser Ziel ist die Produktion und Verbreitung von kritischem multimedialem Wissen auf Arabisch, das weit verbreitete Stereotype und vorherrschende Narrative über Gender und Sexualität infrage stellt. Wir bieten einen sicheren digitalen Raum für Individuen und Communities und ermutigen arabisch sprechende Menschen, ihre persönlichen Erfahrungen als eine Form des Selbstausdrucks mit anderen zu teilen. Durch die Arbeit für Jeem haben wir schnell begriffen, welche Wirkung die Veröffentlichung persönlicher Geschichten auf andere hat; diese Geschichten schaffen einen Raum, in dem sich Menschen mit ihren Sehnsüchten und Erfahrungen wiederfinden. Der sichere Raum macht vielen anderen Mut, ihre eigenen Geschichten zu vermitteln, was durch die ihnen gemeinsame Sprache und Erfahrungen möglich ist.

Trotz der erhöhten Sichtbarkeit und des feministischen Wissens, sehen sich die Produzent*innen dieses Wissens mit rauen Wirklichkeiten konfrontiert. Diese reichen von der Angst vor staatlichen Repressionen und Reaktionen konservativen Gruppen über fehlende finanzielle Stabilität aufgrund eines der Pandemie und der Wirtschaft geschuldeten Zusammenbruchs bis hin zum Schrumpfen der Zivilgesellschaft aufgrund staatlicher Politik. Diese Wirklichkeiten stellen feministische Initiativen vor neue Herausforderungen: Es gibt immer weniger sichere Räume, einen kollektiven Burnout und eine wachsende Zahl von Fragen hinsichtlich der Zukunft feministischer Wissensproduktion.

Diese Herausforderungen zwingen uns, in eine Phase der Selbstreflexion einzutreten und innerhalb der begrenzten Räume zu arbeiten, die geschaffen wurden und nach wie vor existieren sowie verschiedene Strategien des Widerstands und Überlebens für die Zukunft zu erkunden. Einige dieser Strategien gehen mit einer näheren Betrachtung von Nachhaltigkeit einher – Nachhaltigkeit nicht nur auf der finanziellen Ebene, vor allem da sich die Wirtschaft und die Fördermechanismen verändern, sondern auch Nachhaltigkeit von Communities. Wir müssen intensiver an einer zukünftigen Kooperation arbeiten, um die produzierten Inhalte zu schützen und weiter feministisches Wissen zu fördern und es zugleich für zukünftige Generationen zu dokumentieren. Nachhaltigkeit umfasst auch Fürsorge; dort, wo Burnout und die Trauer über die Verluste der Aufstände verbreitet sind, muss man sich um ganzheitlichere Fürsorgeansätze bemühen, welche die Community einbeziehen.

Was die feministische Wissensproduktion betrifft, bedarf es auch neuer Methoden der Erstellung von Inhalten, um die Wirklichkeiten von Frauen und der LGBTQ+-Community in den verschiedenen lokalen Kontexten in der gesamten Region zu spiegeln. Zu diesen Methoden zählt eine weitere Digitalisierung von Inhalten sowie das Erschließen neuer Kanäle für ihre Distribution, aber auch die Verwendung von Multimediaformaten, um verschiedene Zielgruppen anzusprechen.

Außerdem muss es mehr Gelegenheiten geben, neuen Stimmen Gehör zu verschaffen. Wir können dies tun, indem wir uns auf den Aufbau von Kapazitäten für die Schaffung weiblicher Inhalte durch Workshops wie »feministisches Schreiben« oder »visuelle Repräsentation feministischer Geschichten« konzentrieren, und indem wir die Zusammenarbeit von Feministinnen mit unterschiedlichen Hintergründen und Fertigkeiten fördern. Neben diesen Kooperationen bringen Festivals – ähnlich wie »Frequencies, Sharing Feminisms« Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen dazu, sich auf viele verschiedene Themen einzulassen, sich darüber untereinander auszutauschen und dadurch das Auftauchen neuer Stimmen und das Wachstum feministischen Wissens zu gewährleisten.

Mit unserer Arbeit bei Jeem bemühen wir uns, Möglichkeiten des nachhaltigen Agierens zu erkunden, um die Produktion und Verbreitung feministischen Wissens zu forcieren. Wir wollen gewährleisten, dass die Fürsorge in unseren Arbeitsprozessen, untereinander, bei unseren Mitarbeiter*innen und den erzeugten Inhalten fest verwurzelt ist. Es geht uns darum, mehr Menschen zusammenzubringen, um uns miteinander zu verbinden und untereinander auszutauschen und auf diese Weise neue Stimmen hervorzubringen. Wir haben nicht zwangsläufig alle Antworten auf die bestehenden Fragen hinsichtlich der Zukunft der feministischen Wissensproduktion, doch durch die Zusammenarbeit mit anderen und dadurch, dass wir einander unterstützen, können wir gemeinsam gedeihen. Letzten Endes ist neues feministisches Wissen von Individuen und Communities, die lange durch das Patriarchat, aufgrund ihrer Ethnie und im Rahmen des Kapitalismus marginalisiert wurden, ein zusätzlicher Wert für uns alle und all unsere Gesellschaften.


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