Von Tamina Rössger

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wird sehr viel über Waffenlieferungen diskutiert. Wollte die deutsche Bundesregierung anfangs lediglich Helme und Schutzwesten liefern, hat sie mittlerweile den Export von Panzern genehmigt. Rheinmetall-Aktien schießen steil in die Höhe und gleichzeitig warnt ausgerechnet Alice Schwarzer vor dem dritten Weltkrieg. WTF? Was sind das für Zeiten? Freund*innen, mit denen ich noch bis Anfang des Jahres eine pazifistische Einstellung gemeinsam zu haben glaubte, teilen plötzlich Inhalte auf Insta, die (noch) mehr Waffen für die Ukraine fordern, zum Teil sogar ein Eingreifen der NATO. Was ist da los? Und gibt es überhaupt eine Alternative zur Aufrüstung? Der Begriff Pazifismus beschreibt eine moralisch-politische Grundhaltung, die den Einsatz von Gewalt und somit auch von Waffen und Kriegen zur Durchsetzung von Interessen grundsätzlich ablehnt. Das Wort hat seinen Ursprung im lateinischen pax (dt.: Frieden) bzw. pacificus (dt.: friedlich, Frieden stiftend). Pazifist*innen versuchen, Gewalt mit gewaltfreien Formen des Widerstands zu begegnen, wobei es Unterschiede in der Radikalität dieser Haltung gibt. Im deutschen Raum erlangte der Begriff mit der Entstehung der Friedensbewegung in den 1970er- und 1980er-Jahren Popularität. Pazifistische Ansätze gibt es seit Menschengedenken, sowohl mit religiösem als auch philosophisch-moralischem Hintergrund. Die ersten Pazifist*innen werden im neunten Jahrhundert vor Christus vermutet und gehörten dem Jainismus in Indien an. Aus feministischer Sicht sind Bewegungen und Einzelpersonen wie z. B. Leymah Gbowee aus Liberia, Arundhati Roy aus Indien, Code Pink aus den USA oder die Aktivist*innen, die 1915 den Ersten Internationalen Frauenfriedenskongress in Den Haag abhielten, nennenswert. Wirk(t)en diese FLINT doch in ganz unterschiedlichen Kontexten, so vereint sie ihre gewaltfreie Haltung. Gbowee wird bspw. zugeschrieben, die Friedensverhandlungen und schließlich die Demokratisierung Liberias durch gewaltfreie Aktionen essenziell vorangetrieben zu haben.

Es ist nichts Neues, dass Pazifist*innen häufig als naiv und realitätsfern angesehen werden. Ich finde diese Ansicht problematisch, weil sie erstens vergisst, dass gewaltfreier Widerstand durchaus zu Erfolgen geführt hat, und zweitens, weil Produktion, Verkauf und Einsatz von Waffen jeglicher Art vor allem kapitalistischen Unternehmen zu mehr Gewinn verhelfen, Umwelt und Leben zerstören, die Militarisierung von Gesellschaften vorantreiben und patriarchale Machtverhältnisse festigen. Die Annahme, dass Waffen und Kriege notwendig sind, um langfristig Frieden zu erreichen, ist eine zutiefst patriarchale Sichtweise, die die Lebensrealitäten von FLINT in Kriegs- und Krisensituationen weltweit außer Acht lässt.

Andererseits ist es in der Debatte um „Pazifismus – ja oder nein“ unabdingbar, die eigene Position zu reflektieren. Who am I to judge? Niemals würde ich, die Krieg noch nie selbst erfahren musste, mir anmaßen, Menschen in Krisen- oder Unterdrückungssituationen zu sagen, welche Mittel der Verteidigung sie wählen sollen. Ein kolumbianischer Freund sagte: „Pacifism is great in heaven“ (dt.: Pazifismus ist super, wenn man tot ist).

Wie so oft in moralisch aufgeladenen Diskussionen: Meistens gibt es in politischen Konflikten nicht die eine richtige Lösung. In manchen Kontexten mag Gewaltfreiheit funktionieren, in anderen nicht. Politische Konflikte sind ungemein komplex und manchmal gibt es einfach keine „richtige“ Antwort. Vielleicht müssen wir lernen, genau das auszuhalten.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 04/22.