Mit lesbischen Grüßen von Felicia Ewert

Wissenschaft, explizit Naturwissensschaft, gilt weithin als Garant der Wahrheit und Objektivität. Wenn wissenschaftliche Praxis kritisiert wird, wird von Wissenschaftsfeindlichkeit gesprochen. Mit Hinblick auf das Pandemiegeschehen und Verschwörungsideologische Thesen z. B. Zum Glück. Wissenschaftliche Grundsätze bedeuten aber auch: Wenn Thesen obsolet werden, die Realität nicht (mehr) der These entspricht, muss die These verworfen werden.

Thesen bilden, veröffentlichen und kritisiert werden gehört allem Anschein nach zum wissenschaftlichen Betrieb.

Doch worum genau geht es eigentlich gerade?

Felicia Ewert

Felicia Ewert ist Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Geschlechterforschung, (Co-)Autorin der Bücher „Trans. Frau. Sein. - Aspekte geschlechtlicher Marginalisierung und „Feminism is for everyone - Argumente für eine gleichberechtigte Gesellschaft“. Sie ist Podcasterin („Unter anderen Umständen“) und gerne wieder auf Vorträgen als Reiselesbe und politische Referentin unterwegs. They spricht zu den Themen Transfeindlichkeit, Transmisogynie, Homofeindlichkeit und Sexismus.

Am 02. Juli sagte die Humboldt Universität Berlin (HU) einen Vortrag im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaft ab. Es sollte um menschliche Geschlechter gehen. Der Arbeitskreis kritischer Jurist*innen (AKJ) sowie der RefRat (gesetzlich AstA) der Uni kritisierten die Einladung der Doktorandin Vollbrecht vorab mit dem Hinweis auf ihre öffentlich geteilten transfeindlichen Positionen. Der AKJ meldete für den 30. Juni eine Kundgebung vor dem Hauptgebäude der HU an. Am Samstag, den 02. Juli, wurde der Vortrag vonseiten der Uni abgesagt.

Die Debatte der „mangelnden Fachkompetenz“ der eingeladenen Referentin erspare ich uns allen an dieser Stelle. Ich möchte auch keine queerfeindlichen Vorträge von Humanbiolog*innen ertragen müssen. Danke.

Es sei eine „Entscheidung im Sinne der Gesamtveranstaltung gewesen“, sagte HU-Sprecherin Birgit Mangelsdorf dem „Tagesspiegel“. „Es bestand die Gefahr, dass das Fest der Wissenschaften komplett durch den Konflikt um den Vortrag überschattet worden wäre.“ Im Weiteren wurde die Absage auch mit „Sicherheitsbedenken“ begründet.

Felicia Ewert Kolumne
© Rahel Süßkind

Was passierte dann?

Deutsche Medien wären nicht deutsche Medien, wenn sie den Sachverhalt nicht lückenlos aufklären würden. Oh, warte.

Beim Bayerischen Rundfunk befürchtete man bereits das Schlimmste: „Ende der Wissenschaft“ wird dort getitelt. „Cancel Culture an der Humboldt Uni“, oder „Der Gesinnungsterror linker Aktivisten“ gibt’s bei der „FAZ“ zu lesen. Bei „WELT“ wird „Hier zeigt sich die Dekadenz einer liberalen Gesellschaft“ geschrieben und die „Bild“ titelt natürlich ganz im rechten Stil: „So wollen uns Aktivisten umerziehen“. Keine Frage, die vier letzten Beispiele sind wenig überraschend, doch es offenbart sich eben, welche politischen Akteur*innen sofort zur Unterstützung eilen. Es zeigt immer wieder, wie Trans- bzw. Queerfeindlichkeit allgemein ein verbindendes Element, eine Scharnierfunktion zwischen politischen Gruppen, Akteur*innen und Organisationen einnehmen kann. Dieses Phänomen wird auch Querfront genannt.

Das Niveau, wie und die Richtungen aus der hier nach Wissenschaftsfreiheit gerufen wird, erinnert nicht zufällig an Debatten über angebliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit, z. B. wenn Männer für ihre Frauenfeindlichkeit kritisiert werden. Oder gar alle Jahre wieder, wenn eine Diskussion über Freiheit (von Kritik) von Comedy und allem, was sich als Satire selbst identifiziert, entzündet wird.

Noch vor knapp zehn Jahren galt praktisch jede Person, die sich z. B. auf Twitter feministisch äußerte, als „Genderideologe“. Freilich generisch maskulin formuliert. Innerhalb kurzer Zeit distanzierten sich einige feministische Personen aufgrund von, sagen wir, „inhaltlichen Differenzen“. Ja, das waren TERFs, SWERFs und allgemein Personen, die einen sehr weißen Feminismus leben. Diese haben festgestellt, dass sie thematisch und argumentativ in mehreren feministischen Kontexten ziemlich schnell isoliert werden und Unterstützung brauchen. Dies gelingt ihnen oftmals mit der Bedienung rechter und rassistischer Narrative, bspw. vom „Schutz der Frau vor den anderen“ zu sprechen, oder auch, indem sie sich zum „wahren Feminismus“ erklären und alles andere als „Genderideologie“ diffamieren. Und plötzlich kannst du dich vor bürgerlicher/rechter Unterstützung kaum retten. Geniales Konzept. Das liegt selbstredend daran, dass sich linke Medien kaum an diese heißen Eisen herantrauen würden. Bekanntermaßen ist Queerfeindlichkeit ein gesellschaftlich weitestgehend geächtetes Thema. Viele wissen das gar nicht.

Kein neues Phänomen, das sich zeigt: Als Beatrix von Storch im Februar in ihrer Bundestagsrede Tessa Ganserer persönlich angriff, zeigte sich die Unterstützung sogar in die andere Richtung. Ihr wurde selbstverständlich zugestimmt, aber auch Bedauern ausgesprochen. Bedauern, dass nicht auch andere Parteien neben der AfD denselben misogynen, queerfeindlichen Kurs verfolgen. Das bedeutet, es bestand keinerlei Zwang, sich zu rechtfertigen, zu erklären und dennoch wurde von Storch durch andere transfeindliche Personen ohne Umschweife öffentlich zugestimmt. So viel zur These, dass TERFs von rechts „vereinnahmt“ werden würden.

Hashtag best friends forever.

Die aktuelle (Selbst-)Inszenierung, als „Opfer einer politischen Kampagne“ „gecancelt“ zu werden, während dir Deutschlands größte Zeitungen Plattformen schenken, dir die Bildungs- und Forschungsministerin zur Seite springt und innerhalb eines Tages 15.000 Euro Spenden für dich eingehen, um „dich rechtlich abzusichern“, da kann schon mal eine Träne der Anteilnahme vergossen werden.

Aber zurück dazu, dass Wissenschaft nicht kritisiert werden dürfe. Der Präsident des Deutschen Hochschulverbands, Bernhard Kempen, kritisierte die Absage. Die Universität habe der Wissenschaftsfreiheit einen „Bärendienst“ erwiesen. „Sie hätte stattdessen Rückgrat beweisen sollen und alles daransetzen müssen, dass der Vortrag stattfinden kann.“ Universitäten seien Stätten geistiger Auseinandersetzung. „Hier muss jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler ihre und seine Forschungsergebnisse, Thesen und Ansichten ohne Angst zur Diskussion stellen können.“

Das Engagement, wie hier nach Wissenschaftsfreiheit gerufen wird, würde ich mir häufiger wünschen, wenn es um Geschlechterforschung geht. Nun ja.
Diese Aussage und ebenso die anderen erwähnten reißerischen Titel zeigen, es wird immer wieder ein Bedrohungsszenario aufgemacht. Auch die Rechtfertigungen seitens der Uni festigen dies. Sie versuchen also, explizit diskriminierende Inhalte als wissenschaftliche Objektivität darzustellen und damit gegenüber jedem Zweifel und jedweder Kritik erhaben zu machen. Wer diese Inhalte und Personen kritisiere, könne also nur wissenschaftsfeindlich sein. Dies zeigt sich auch am konstanten „Aktivismus versus Wissenschaft“-Framing. Biologistische Inhalte werden als unpolitische Objektivität bezeichnet, während Kritik daran als potenziell gewaltvoller Aktivismus diffamiert wird. Besonders in Bezug auf bspw. rassistische und antisemitische Instrumentalisierungen in der Geschichte zeigt sich, dass vielen Leute diese Ereignisse nicht bewusst sind, sie diese relativieren oder sie sich von diesen historischen Ereignissen gar ganz distanzieren möchten. Hierbei wird die Funktion von Wissenschaft, aktives Herrschaftsinstrument sein zu können, bewusst außer Acht gelassen.

Wissenschaft, die sich selbst als „unpolitisch“ identifiziert, aber gleichzeitig soziale Phänomene betrachtet und analysiert, wie z. B. die Kategorie Geschlecht und deren Konstruktion, ist vieles, jedoch gewiss nicht unpolitisch.

Wissenschaft trägt Verantwortung. Wenn Wissenschaft instrumentalisiert wird, um marginalisierte Menschen weiterhin zu unterdrücken, hat sie ihre Freiheit verloren und muss zur Verantwortung gezogen werden.

Mit lesbischen Grüßen

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