Grundkurs Geschlechterideologie
Kolumnist*in:
Mit lesbischen Grüßen von Felicia Ewert
„Na, im Biounterricht nicht aufgepasst?“ „Es ist basic biology!“
„Ihr leugnet die Biologie!“
„Geschlecht ist kein Gefühl!“
„Wie fühlt man sich denn bitte als Frau?!“
Sätze, die queere Menschen täglich hören müssen. Nicht ausschließlich von Erzkonservativen oder Rechtsradikalen, sondern auch von hochqualitativen, feministischen Druckerzeugnissen wie „WELT“, „FAZ“, „BILD“ oder hier Dings, ähm, „EMMA“.
Die Ansicht, dass es zwei, und nur exakt zwei, Geschlechter geben würde, ist gesellschaftlicher Status quo. Manche selbst identifizierte Feminist*innen fühlen sich like „vive la résistance!“, wenn sie von Gameten, Chromosomen oder Hormonen in den Nebennierenhinterwänden sprechen – als würden sie hier nicht ohnehin die vorherrschende patriarchale Geschlechterlogik bedienen. Gleichzeitig behaupten sie, dass wir die Existenz verschiedener Körper, Körperfunktionen, Hormone und Chromosomen leugnen würden. Ich könnte diese Behauptung als glatte Lüge bezeichnen. Deshalb tue ich’s auch.
Merke: Je mehr antifeministische, queerfeindliche, frauenverachtende Leute deiner binären Geschlechterideologie zustimmen, umso richtiger musst du wohl liegen. Feminist of the year award incoming.
Permanente Berufungen auf ein sogenanntes biologisches Geschlecht, die Einteilung von Menschen aufgrund ihrer vermeintlichen Körper und der Ausschluss, Bedrohungen und tatsächliche Attacken auf Menschen, die die binäre Geschlechterideologie kritisieren, aus ihr ausbrechen oder „schlicht“ ihr Leben leben wollen, sind Alltag. All dies zeigt, dass es Menschen nicht lediglich um eine Benennung von Körpern geht, sondern gezielte Angriffe gewollt sind und billigend in Kauf genommen werden. Stetiges Anheizen der Stimmung, eine cis- und heteronormative sprachliche Bodenbereitung für Anfeindungen, verbale und physische Gewalt passieren nicht unbedacht, sondern gezielt.
Doch machen wir an dieser Stelle mal einen kurzen Ausflug und schauen wir uns den Begriff „biologisches Geschlecht“ genauer an. Anschnallen bitte, jetzt wird die Biologie geleugnet.
Der Begriff „biologisches Geschlecht“ versucht, Eindeutigkeit zu schaffen, wo gar keine ist. Es geht hierbei um einen Oberbegriff für die Kombination aus Organen (Fortpflanzung, Sexual, Ausscheidung), Hormonstatus und Chromosomen. Die meisten Menschen kennen ihren eigenen Körper und viele der erwähnten Attribute von sogenanntem biologischen Geschlecht nicht. Freilich glauben sie, den Chromosomenstatus fremder Menschen anhand von z. B. deren Schreibstil erkennen zu können, doch das ist ein anderes Kapitel. Es ist überhaupt nicht schlimm, selbst nicht darüber Bescheid zu wissen, denn nichts davon erschafft oder macht ein Geschlecht. Diese Dinge sorgen für körperliche Beschaffenheiten und Ausprägungen, Fähigkeiten, ja auch potenzielle Fortpflanzungsfähigkeit und die verschiedenen Formen davon.
Kurz: Diesen erwähnten Dingen werden Geschlechter zugewiesen. Kategorisiert. „Männlich/weiblich“ schon mal gehört? Erfunden von – Spoiler alert – Menschen. Zur Einteilung von Menschen in Produktions- und Reproduktionsverhältnisse. Es gibt keine rechtliche Definition von Geschlecht, aber es gibt Geschlechtseinträge. Weil Biologie und so ja … Eindeutigkeit und so, kennt ihr. Zwinky Zwonky. Auf keinem Chromosom, Knochen, Estrogenschwabbel, Handrücken oder problematischen Pony steht „männlich“ oder „weiblich“. Nicht einmal auf Vulven steht das drauf. Hab eben bei meiner nachgeschaut.
Kurz: Hormone und Chromosomen haben die Aufgabe, Körper auszubilden, auszuprägen. Sie beinhalten kein Geschlecht und schaffen auch keine Geschlechter. Das tun erst Menschen durch die Einteilung von Körpern. Und selbst hierbei hält sich die BiologieTM oftmals nicht an die Normen, die sich binäre Geschlechterideolog*innen wünschen. So’n Pech ey. Scheinbar leugnet sogar die BiologieTM des Öfteren die BiologieTM. Dieses freche Biest.
Viele Leute glauben, dass eine Kritik am Begriff des sogenannten biologischen Geschlechts Leugnung von Fakten sei. Diese Leute versuchen, Körper geschlechterideologisch zu vereinnahmen. Meine Kritik bezieht sich auf die Kategorisierung von Körpern in „männlich/ weiblich“ von außen durch andere, durch Gesellschaft, durch Institutionen.
Oftmals versuchen queerfeindliche Leute dann, einen hochdurchdachten rhetorischen Kniff anzuwenden. „Wenn es Geschlechter also gar nicht wirklich gibt, wie kann es Sexismus geben?“, „Wieso kritisierst du dann toxische Männlichkeit?“, „Was ist mit dem Gender Pay Gap?“ Tja, puh, Kapitalismus wurde auch von Menschen erfunden und, was soll ich sagen, er ist leider real.
Nur weil etwas konstruiert ist, besitzt es dennoch gesellschaftliche, institutionelle, rechtliche Wirkmächtigkeit. Zur Verdeutlichung: Mehr und mehr Menschen realisieren, dass Kapitalismus eine von Menschen erdachte Wirtschaftsordnung ist. Quasi erfunden und er hat dennoch ganz reale existenzbedrohende, tödliche Folgen für Menschen, Tierwelt und den Planeten. Wir müssen die Parallelen zum binären Geschlechtersystem begreifen. Etwas ist von Menschen erfunden und hat dennoch reale Konsequenzen, die erkannt, benannt und kritisiert werden müssen. Geschlechter sind erfunden, aber Sexismus, Misogynie, Queer- und explizit Trans-, Inter-, Nicht-binär-Feindlichkeit sind real.
Wir können somit schließen: Sogenanntes biologisches Geschlecht (BG) ist ebenso sozial konstruiert wie „soziales Geschlecht“. Ich wiederhole das gerne, weil mir leider immer noch zu viele Menschen den Begriff des BG zu unkritisch verwenden.
Beispiele aus dem Alltag:
„Alle Menschen haben Mutter und Vater!“ Puh, gewagte These. Auf so vielen Ebenen.
Es geht hierbei nicht darum, Fortpflanzung zu erklären, es geht queerfeindlichen Leuten generell nicht darum, biologische Fakten zu erklären, es geht ihnen vielmehr darum, ihre binäre Geschlechterideologie zu rechtfertigen, zu verharmlosen und Menschen auszugrenzen. Wir könnten präziser sagen:
Es braucht wohl Spermien und Eizellen für die Fortpflanzung. Und fertig wäre die Laube.
Aber da wird schnell schlimme Biologieleugnung gewittert. Also wenn ich mit dem geschlechtslosen Beschreiben biologischer Fakten schon die BiologieTM leugne, tja, dann weiß ich auch nicht mehr.
Weiteres Beispiel:
Es ist niemals „respektvoll“ zu sagen: „Natürlich respektiere ich trans Frauen, obwohl sie biologisch gesehen keine …“ ich beende den Satz an dieser Stelle.
Ich bin ein biologisches Wesen, eine Frau bin ich auch. Die Vermutung liegt nah, dass ich eine biologische Frau bin. Aber ganz ehrlich, diese Formulierung ist historisch extrem vorbelastet, sodass ich das nicht als eine Selbstbezeichnung verwenden würde. Es sei denn, um Leute zu nerven. Dann natürlich sehr gerne.
Apropos, ich habe mein Geschlecht nicht „gewechselt“, ich habe erkannt, was ich bin: eine Frau.
Egal, wie respektvoll das Statement gemeint war, vertraut mir, es ist es nicht. Zusätzlich möchte ich euch klarmachen, dass wir zwar stets unbeabsichtigte und vorsätzliche Diskriminierung unterscheiden müssen, jedoch haben beide dieselbe Basis. Von Zweigeschlechtlichkeit auszugehen ist erst einmal nicht das Problem. Wir alle wurden in binärgeschlechtlichen Systemen sozialisiert und wachsen darin auf. An strikter zweigeschlechtlicher Ideologie nach vielleicht jahrzehntelanger feministischer Arbeit und Bildung festzuhalten, ist Vorsatz und wird kritisiert. So einfach ist das. Wir müssen also begreifen, dass eine unbedachte, verletzende Aussage dennoch immer mit offener, brutaler Feindlichkeit zusammenhängt. Beides ist im binären Denken verwurzelt. Wir können uns nicht einfach von unserer Verantwortung freisprechen. Eine unbedachte, verletzende Aussage ist nicht dasselbe wie ein körperlicher Angriff, doch beide haben dasselbe queerfeindliche Fundament.
Wenn sich selbst identifizierende Feminist*innen, gerne mal mit Kiwis und Fruchtfliegen als Argumentsgrundlage, dazu aufschwingen, die BiologieTM und die NatürlichkeitTM zu verteidigen, dann haben sie den rechten Rand betreten. Egal, wie sehr sie das bestreiten möchten.
Wir alle müssen uns konstant die Frage stellen, weshalb wir das so dringende Bedürfnis verspüren, noch das kleinste Molekül in den Körpern anderer Menschen als männlich oder weiblich zu kategorisieren, anstatt es präzise zu benennen.
Mit lesbischen Grüßen