Loud’n Jewcy von Debora Antmann

Regelmäßig bekomme ich Anfragen, die „xy und Religion“ im Titel haben, und jedes Mal frage ich mich, ob Journalist*innen und Medienmacher*innen eigentlich nicht mal mehr fünf Minuten Recherche investieren, bevor sie Anfragen versenden, oder ob ich doch einfach zu diskret bin. Deswegen nun dieser Text, in der Hoffnung, dass alle zukünftigen Anfragenden darüber stolpern und es hier ganz klar ausgeschrieben sehen: Ich, Debora Antmann, alias Debs, bin eine säkulare Jüdin. Bitte sehr.

Eigentlich gehe ich davon aus, dass das sehr deutlich wird in allem, was ich tue und sage und schreibe und veröffentliche und selbst, wenn man keinen der Texte gelesen hat, in denen ich mich explizit für mehr säkular-jüdische Strukturen ausspreche, sollte doch auffallen, dass ich in keinem meiner Texte, Talks oder Interviews JEMALS Formulierungen wie „mein Glaube“, „meine Religion“, „Glaubensgemeinschaft“ oder Ähnliches verwende. Im Gegenteil. Wer mich in den Sozialen Medien erlebt, wird feststellen, dass meine häufigsten Replys vermutlich „Judentum ≠ Religion“ oder „Judentum ist keine Religion!“ sind. Ich gebe inhaltlich wirklich wenig Anlass, davon auszugehen, dass ich mich in irgendeiner Weise mit dem bzw. einem religiösen Judentum identifiziere, und dennoch werden Beiträge mit, von oder zu mir permanent mit dem Label #Religion verschlagwortet. Es wäre nicht mal so, dass mich in diesen Fällen GEGEN Religion ausgesprochen hätte (was ich eh nie tun würde), sie spielt einfach keine Rolle, weil sie nicht Teil meines Themenkomplexes ist. Aber sobald „jüdisch“ draufsteht, ist für die meisten Menschen „Religion“ drin und das ist ein Problem. Nicht nur für mich, sondern so ganz strukturell und grundsätzlich und mit Blick darauf, wie Judentum, Jüdischsein, Jüdischkeit und jüdische Menschen in dieser Gesellschaft wahrgenommen werden. Breaking news: Nicht jedes Obst ist ein Apfel, nicht alle Jüd*innen sind religiöse Jüd*innen.

© Bär Kittelmann

Zurück zu den Medienmacher*innen, die mich zu Sex und Religion, Beruf und Religion, Liebe und Religion, Queer(ness) und Religion, Religion und Deutschland, Religion und Berlin, Religion und Freiheit, Religion und Pornografie, Religion und Care, Religion und Corona, Literatur und Religion, Aktivismus und Religion, Behinderung und Religion, Feminismus und Religion etc. anfragen: Diese Anfragen sagen deutlich mehr über die Anfragenden aus als über mich. Sie sagen erstens aus: Für sie ist Jude = Jude. Und das ist schon mal ein Problem. Sie sagen zweitens aus: Diese Personen sollten diese Formate lieber nicht machen. Denn offensichtlich haben sie ein absolut eindimensionales und gefährliches, Antisemitismus und Stereotype reproduzierendes Bild von Jüd*innen. Und das, was sie vorhaben, wird dieses Bild nur festigen und als vermeintliches Bildungsformat weitertragen und in weiteren Köpfen verstetigen. Sie sagen drittens aus: „Wir hatten nie wirklich vor, uns tiefgehend mit irgendwas zu beschäftigen, wir suchen Kanonenfutter für unser Format und brauchen deswegen den Token-Juden.“ Theoretisch bin ich für jede Kamera und jedes Mikrofon zu haben. Aber eben nur theoretisch. Faktisch bin ich dann eben doch ungern „irgendeine Jüdin“.

Debora Antmann

1989 in Berlin geboren und die meiste Zeit dort aufgewachsen. Als weiße, lesbische, jüdische, analytische Queer_Feministin, Autorin und Körperkünstlerin, schreibt sie auf ihrem Blog „Don’t degrade Debs, Darling!“ seit einigen Jahren zu Identitätspolitiken, vor allem zu jüdischer Identität, intersektionalem Feminismus, Heteronormativität/ Heterosexismus und Körpernormen. Jenseits des Blogs publiziert sie zu lesbisch-jüdischer Widerstandsgeschichte in der BRD, philosophiert privat über Magneto (XMen) als jüdische Widerstandsfigur und sammelt High Heels für ihr Superheld_innen-Dasein.

Mir ist klar, dass für Vorrecherche wenig Zeit bleibt, alles ist schnelllebig, bla bla bla. Aber mich zum Thema Religion anzufragen bedeutet schon, dass sie mich aus genau EINEM Grund anfragen: Ich bin Jüdin. Und dass sie glauben, damit sei ich automatisch eine passende Kandidatin für ihren Dreh zu Religion und Raumfahrt, zeigt, dass sie zum Thema Judentum und vermutlich noch zu einigen anderen Realitäten nur Matsch im Kopf haben. Ich kann nicht verhindern, dass Leute, die OFFENSICHTLICH keine Ahnung haben, ihr Nicht-Wissen reproduzieren und unser Leben in dieser Gesellschaft über Generationen hinweg damit noch unerträglicher machen (oder zumindest gleichbleibend unerträglich), weil Paula und Hugo und Lena und Inge und Leonard und Henri alle mal irgendeinen Beitrag zu Religion und Gießkannen gesehen haben und da kam auch ein Jude drin vor und jetzt wissen sie, wie es wirklich ist. Aber ich kann vielleicht dafür sorgen, dass diese wc-deutsche Selbstbestätigung nicht mehr in meinen E-Mails und DMs landet. Deswegen noch mal an alle da draußen, weil es scheinbar nicht reicht, das inhaltlich sehr klar zu machen, sondern ich es wahrscheinlich auf meine Visitenkarte drucken, unter jeden meiner Texte schreiben und als T-Shirt bei jedem Talk tragen müsste, damit es ankommt, oder eben dem Thema einen ganzen verdammten Text widmen muss: Ich bin eine kulturelle, eine politische, eine wütende, eine säkulare, eine sozialisierte, eine an manchen Tagen vor Jüdischkeit strotzende, eine durch und durch mit ihrem Jüdischsein identifizierte Jüdin. Aber eines bin ich nicht: eine religiöse Jüdin.