Interview mit Kathrin Schmidt: Tamina Rössger

Du warst 2016 und 2017 mehrfach Einsatzleiterin für die Organisation Jugend Rettet an Bord eures Schiffes luventa im zentralen Mittelmeer. Insgesamt konnte eure Crew mehr als 14.000 flüchtende Menschen aus Seenot retten, bevor im August 2017 euer Schiff von italienischen Behörden beschlagnahmt wurde. Zusammen mit zwanzig anderen Seenotretter*innen stehst du nun in Italien vor Gericht. Was wird euch vorgeworfen?
Die Anklage lautet „Beihilfe zur unautorisierten Einreise“. Das bedeutet, uns wird vorgeworfen, dass die Menschen, die wir gerettet haben, eigentlich gar nicht wirklich in Seenot waren und wir sie nicht hätten retten dürfen. Wir kennen alle die Bilder von überfüllten Schlauchbooten, die meist absolut seeuntauglich sind. In den letzten acht Jahren sind über 24.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Vor dem Hintergrund dieser Faktenlage ist klar: Seenotrettung ist mehr als eine Notwendigkeit. Sie bleibt eine Pflicht. 

Die Vorwürfe gegen euch wirken konstruiert. Worum geht es wirklich?
Unserer Meinung nach ist das ein aufgeblasener politischer Schauprozess.

Die Kriminalisierung, sei es von Geflüchteten selbst oder von Menschen wie uns, die sich solidarisch zeigen, ist systematisch. Migration und Flucht sollen um jeden Preis verhindert werden. Dafür gehen die Autoritäten buchstäblich über Leichen. Wir Seenotretter*innen sind dabei nicht die, um die es bei der Kriminalisierung hauptsächlich geht. In Italien, Griechenland oder Malta werden geflüchtete Menschen häufig ohne faire Verfahren zu absurd hohen Gefängnisstrafen verurteilt, nur gibt es für diese Fälle kaum öffentliches Interesse. Angeklagt werden die Geflüchteten häufig wegen des gleichen Vorwurfs, den man uns macht: Beihilfe zur unautorisierten Einreise. Ihnen wird dann z. B. vorgeworfen, das Boot, in dem sie nach Europa gekommen sind, gesteuert zu haben. Das ist absurd, auch weil es faktisch keine legalen Fluchtwege nach Europa gibt. 

Es ist nun über fünf Jahre her, dass die Iuventa festgesetzt wurde. Wieso zieht sich der Prozess so in die Länge?Teile diesen Artikel