Die Sehnsucht nach dem, was einmal werden könnte
Kolumnist*in:
class, mate von Franziska Heinisch
Illustration: Rahel Süßkind
Ich schreibe hier eine Kolumne, in der ich versuche, mit Begriffen wie Klasse, Klimakrise, Kapitalismus, Aufbegehren gegen selbigen und Feminismus zu hantieren. Ach du meine Güte, mag man meinen. (Denke ich auch jedes Mal.) Wenn ich beschreiben will, was ich die letzten Jahre politisch gemacht habe, sage ich meistens: „Ich hab viel mit Klima gemacht“ – was auch immer Menschen sich dann darunter vorstellen. Und wenn ich erklären will, was mein Nachdenken über die Klimakrise mit all diesen anderen sperrigen Begriffen verbindet, sage ich: „Ich bin Sozialistin“, als würde es das in irgendeiner Form weniger sperrig machen. Ach du meine Güte 2.0, jaja, ich weiß.
Jedenfalls ist mir mit Erschrecken aufgefallen, dass ich hier noch keinen einzigen Text zum Thema Klima geschrieben habe. Jetzt aber liegt es auf der Hand.
Anfang Januar begann die Räumung Lützeraths. Des Dorfes, das RWE abreißen will und mittlerweile dazu auch geräumt hat, mit aller Gewalt, die eben notwendig ist, um im Jahr 2023 noch einen Tagebau auszudehnen, der Teil der größten CO2-Quelle Europas ist. Zehntausende machten sich auf den Weg dorthin; und Aktivist*innen im und um das Dorf konnten die Räumung zumindest ein paar Tage in die Länge ziehen. Auch nach Abschluss der Räumung gehen Protest und Aktionen weiter. Denn selbst wenn Lützerath weg ist, ist die Kohle unter dem Dorf ja noch im Boden. Und weil das so ist, heißt es immer wieder: Lützerath lebt.
Das scheint merkwürdig, weil Lützerath ja nun einmal gerade geräumt und zerstört wurde.
Ich will niemanden langweilen, aber auch das Offensichtliche nicht aussparen: Natürlich ist die Klimakrise eine Klassenfrage. Offensichtlich verursacht von der Funktionsweise des Kapitalismus, und selbstverständlich müssen wir, wenn wir daran nun wirklich nachhaltig (nicht mit Bioetikett oder CO2-Ausgleich oder sonst etwas, sondern ganz ernsthaft) etwas ändern wollen, den Kapitalismus überwinden. Danach wird dann kein Paradies warten, sondern die Herausforderung wird sein, dass wir versuchen müssen, das gute Leben für alle aus der Zerstörung heraus aufzubauen.
Natürlich ist der Kampf gegen die Klimakatastrophe nicht nur irgend so ein Ökoding, sondern ein Kampf für eine Welt, in der nicht Profite, sondern Menschen und ihre Bedürfnisse zählen. So erklären sich bspw. Verweise in Lützerath auf Kämpfe, die Ähnliches zum Gegenstand haben – u. a. die Streikbewegungen für ein bedarfsgerechtes Gesundheitssystem, die in den letzten Jahren Wellen geschlagen haben. Die Klimagerechtigkeitsbewegung will folgerichtig nicht nur mit der Ausbeutung der Natur brechen, sondern mit aller Unterdrückung auf der Welt.
Das ist der Hintergrund, vor dem sich der Kampf um Lützerath zugespitzt hat. Der Tagebau Garzweiler, das riesige Nichts bei Lützerath, ist längst zum Symbol geworden – für die Zerstörungskraft des fossilen Kapitals, das bislang so bereitwillig vom Staat behütet, verteidigt und mit „Kompromissen“ liebkost wird. Die Durchsetzung kapitalistischer Interessen und der immer weiteren Kapitalakkumulation ist gewaltvoll. Es brauchte nicht erst die mystischen Bilder von Polizeiketten vor dem riesigen Kohlebagger vor Lützerath, um das zu verdeutlichen.
Nicht nur der Tagebau, auch Lützerath selbst ist zum Symbol für diese Zerstörungskraft und Gewalt geworden. Denn dort haben sich all diese genannten Zusammenhänge, Verbindungen und Grundsätze in einem konkreten Konflikt zugespitzt. RWE gegen die Bewohner*innen, RWE gegen die Aktivist*innen, ein fossiler Großkonzern, geschützt von riesigen Polizeiaufgeboten gegen alle, die gegen ihn aufbegehren. Ein Kohlebagger, der aus Wiesen und Dörfern immer weiter nur ein immer größer werdendes Nichts macht, gegen das Aufbegehren gegen die Zerstörung und Unterdrückung. Ein gewaltvolles kapitalistisches System gegen die Sehnsucht nach einem guten Leben für alle.
Lützerath mag geräumt sein. Aber der Konflikt bleibt bestehen. Die Aktivist*innen, die sich dort mitten hinein begeben haben, bleiben. Die Angst, die Hoffnung und die Sehnsucht genauso, wenn auch immer wieder durchsetzt von Ernüchterung.
Dass Lützerath lebt, bedeutet:
Der Kampf um die Kohle unter Lützerath geht weiter, und selbst wenn darauf kein Lützerath mehr steht, wird sie nicht vergessen werden. Denn ob diese Kohle verfeuert wird, entscheidet über die Einhaltung von Klimaschutzzielen, über die weitere Entwicklung der Klimakatastrophe und damit über Menschenleben. Man kann Häuser, Hütten und Bäume wegbaggern, jedoch nicht das Bewusstsein, dass das, was dort passiert, fatal ist, und auch nicht die Versuche, es zu verhindern.
Dass Lützerath lebt, bedeutet auch:
Die Klimagerechtigkeitsbewegung lebt. Sie ist in den letzten Monaten und Jahren durch viele Strategiedebatten hindurchgegangen, sie entwickelt sich weiter, sie ist nicht der eine Akteur, sondern setzt sich kaleidoskopartig zusammen. Vor allem aber kann sie wieder erstarken. Und möglicherweise ist der Kampf um Lützerath der Ausgangspunkt, von dem aus das gelingt.
Denn das, was in kollektiven Aktionen, Blockaden und Aufbrüchen in der Klimabewegung und anderswo geschieht, immer und immer wieder, ist mehr als das Dagegensein. Der Zusammenhalt und die Behutsamkeit miteinander, die es dafür braucht, in die Konfrontation zu gehen mit Staat und Kapitalweisen darüber hinaus. Die Momente kollektiver Stärke, des Aufeinander-Achtens und der konkret erlebten Solidarität sind für viele Aktivist*innen auch ein Vorgriff darauf, wie es sein könnte. Ein Nährboden für die Sehnsucht nach dem, was einmal werden könnte.
Es ist eine Herausforderung, diese Sehnsucht nicht von einem Kohlebagger mitreißen zu lassen ins Nichts. Aber ich glaube, in Lützerath ist es vorerst gelungen.