Mit lesbischen Grüßen von Felicia Ewert
Illustration: Viki Mladenovski

Am 27. Januar, dem Befreiungstag des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee, dem Holocaust-Gedenktag, fand im Bundestag die Gedenkstunde für die Verfolgten des Nationalsozialismus statt. In jedem Jahr wird den Opfern und den Überlebenden, den Menschen, die von einem mörderischen, deutschen System verfolgt wurden, gedacht.

Erstmals in diesem Jahr – 78 Jahre nach dem Sieg über Nazideutschland – wurde diese Veranstaltung den verfolgten queeren Menschen gewidmet.

Dies war längst überfällig.

Felicia Ewert

Felicia Ewert ist Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Geschlechterforschung, (Co-)Autorin der Bücher „Trans. Frau. Sein. - Aspekte geschlechtlicher Marginalisierung und „Feminism is for everyone - Argumente für eine gleichberechtigte Gesellschaft“. Sie ist Podcasterin („Unter anderen Umständen“) und gerne wieder auf Vorträgen als Reiselesbe und politische Referentin unterwegs. They spricht zu den Themen Transfeindlichkeit, Transmisogynie, Homofeindlichkeit und Sexismus.

Da die mörderische queerfeindliche Gesetzgebung mit dem Ende  der Herrschaft des Nationalsozialismus nicht plötzlich vorbei war, sondern bis weit in die Zeit der BRD und auch der DDR fortgesetzt wurde, wurden Aufklärung, Anerkennung und Gedenken bewusst verschleppt und Überlebende als „verurteilte Straftäter*innen“ begriffen. Es wurde somit auch versucht, unsere Existenzen und Geschichten bewusst auszulöschen. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas betonte ebenfalls, dass mit der Einstufung als „Asoziale“ zusätzlich versucht wurde, queere Existenzen unsichtbar zu machen, und dass gerade hierdurch die Aufklärung erschwert wird.

Angesichts der Tatsache, dass selbst eine Institution wie der Bundestag dies nun anerkannt hat, sollte es quasi der letzte Weckruf für Menschen sein, die weiterhin behaupten, dass queere Menschen im Nationalsozialismus keiner Gewalt ausgesetzt waren. Besonders auch jenen, die konstant versuchen, die queere Community zu spalten. Und besonders auch jenen, die versuchen, Trennungen zwischen Jüdisch- und Queersein zu eröffnen.

Historiker*in Laurie Marhoefer betont die Notwendigkeit, auch die Verfolgungen durch den Nationalsozialismus intersektional zu betrachten und zu begreifen. Da Jüdinnen*Juden zu oft gar nicht als queer begriffen werden.

Antisemitismus, Rassismus, speziell auch gegenüber Sinti*zze und Rom*nja, Queerfeindlichkeit, Behindertenfeindlichkeit: Wir müssen all das stets zusammendenken. Denn Menschen sind nicht „entweder-oder“. Ach ja, vergesst nicht, dass damals ebenso Schwarze Menschen in Deutschland existierten.

Die Shoah-Überlebende Rozette Kats appellierte in ihrer Ansprache im Bundestag, dass sie selbst nicht zu einer sexuellen und geschlechtlichen Minderheit gehöre, die Parallelen aber nicht außer Acht gelassen werden dürften. Es dürfe keine Teilung geben. Bei diesen Worten und der Geschichte ihres Überlebens schoßen mir die Tränen in die Augen. Denn sie hätte diesen Appell nicht machen müssen. Sie hätte ihre Geschichte mitteilen können, doch sie nutzte den Raum, um auf Queerfeindlichkeit aufmerksam zu machen.

Mein tiefster Dank an dieser Stelle.

© Viki Mladenovski

Die Gedenkstunde war für mich sehr ergreifend, wenngleich ich mir auch ein intensiveres Aufklären über die Existenz transgeschlechtlicher, nicht-binärer und intergeschlechtlicher Menschen gewünscht hätte. Denn wir sind keine Randnotiz, sondern existierten schon immer. Menschen wie Liddy Bacroff existierten, und sie wurden verfolgt, inhaftiert und ermordet.

Immer wieder wird die These in den Raum geworfen, dass z. B. Lesben offiziell nicht für ihr Lesbischsein verfolgt wurden. Ja, der § 175 betrachtete lediglich Männer hierbei, zumindest in Deutschland, im österreichischen Teil des Deutschen Reichs gab es zeitweise für die Verfolgung aufgrund von „homosexuellen Handlungen“ keine geschlechtliche Ausnahme.

Es verdeutlicht aber eben auch, dass weibliche gleichgeschlechtliche Sexualität, weiblich eingestufte Homosexualität nicht als Sexualität begriffen wurde. Eine Kontinuität, die sich bis heute fortsetzt. Lesbisch zu sein wird fetischisiert für den männlichen, heteronormativen Blick, aber gleichzeitig als „unnatürlich“ bezeichnet. Die Dream Nails besangen es im Song „Kiss My Fist“ wie folgt:

„You like us on the video
You like us when you have control
You want an onscreen fantasy
But you hate us holding hands in the street“

Solang queere Zuneigung und Sexualität dem männlichen heteronormativen Blick dienlich sind, sind sie gestattet, weil es Männlichkeitskonzepte nicht „bedroht“.

Immer wieder taucht die „gewagte Frage“ auf, ob sich die Menschen damals überhaupt selbst als queer bezeichnet haben. Diese Frage bleibt offen, doch zielt auch sie nicht auf das Selbstverständnis von Menschen ab, sondern darauf, queere Menschen als Opfer- und Überlebendengruppe zu delegitimieren.

Sprache ist nicht starr und auch Sylvia Rivera und Marsha P. Johnson bezeichneten sich selbst in den 1960er-Jahren als „Transvestites“. Andere Begriffe hatten sie noch nicht. Vielleicht hätten sie auch gar keine anderen gewollt. Und auch wir werden uns in zehn Jahren vielleicht wundern, wie wir im Jahr 2023 über Queerness, Geschlecht und Sexualität sprachen. Wenn wir dazu dann noch Gelegenheit haben.

Letztendlich spielt es keine Rolle, wie sich die Menschen damals selbst bezeichnet haben, denn sie wurden aufgrund der nationalsozialistischen Biopolitik als „unwert“, „Schande“ oder auch „Gefahr für den deutschen Volkskörper“ begriffen und verfolgt.

„Aber was ist denn mit den Transvestitenscheinen? Die erlaubten es trans Personen doch, unbehelligt zu bleiben.“

Die sogenannten Transvestitenscheine waren ein Überbleibsel aus der Weimarer Republik, die dafür sorgen sollten, dass transgeschlechtliche bzw. nicht „geschlechtskonform“ auftretende Menschen keine Strafen durch die Polizei zu erwarten hatten, wenn sie sich so kleideten, wie sie es wünschten. Dass diese Dokumente im Nationalsozialismus nur allzu gerne genutzt wurden, um Menschen ausfindig zu machen, erläutere ich nicht weiter. Jeder Versuch, trans Personen hierfür zu diskreditieren, muss mit unbedingter und umfassender Kritik beantwortet werden.

Was bleibt vom Gedenken?

Jeden  Tag fünf antisemitische Angriffe in Deutschland, rassistische Polizeimorde,  jeden dritten Tag ein Femizid und 2022 als queerfeindlichstes Jahr bis dato.

Gedenken und Anerkennen darf nicht mit Beileidsbekundungen enden, sondern muss der tatsächliche Anstoß sein, marginalisierte Menschen zu schützen. Abseits von Gedenktagen.

Mit lesbischen Grüßen

Smash fascism

Quellen:

Arolsen Archives: NS Verfolgung queerer Menschen
Academic: Lesbianism, Transvestitism, and the Nazi State: A Microhistory of a Gestapo Investigation, 1939–1943
Wikipedia: Homosexualität in der NS Zeit
Wikipedia: Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung
Wikipedia: Transvestitenschein
Wikipedia: Mary Pünjer
Wikipedia: Liddy Bacroff
Wikipedia: Ilse Totzke
ND: Holocaustgedenken – es gibt Hierarchien der NS Opfer
BPB: Queere Geschichte und der Holocaust