Interview: Yala Pierenkemper

Inwieweit steht eure Zirkuspraxis für Genuss?
Luzie Schwarz: Im traditionellen Zirkus gibt es eine Art Sensationsdramaturgie – immer höher, besser, weiter, schneller. Unserem, also dem zeitgenössischen Zirkus, geht es hingegen darum, zu erzählen und Themen auszuhandeln, die das Publikum fordern, anregen, inspirieren und nachdenklich machen. Dadurch, dass die Ausdrucksweisen von Zirkus häufig über Körperlichkeit hergestellt werden, sind sie oft emotional schneller für das Publikum zugänglich.
Mijin Kim: Neuer Zirkus ist eine Form zeitgenössischer Kunst und zeitgenössische Kunst bedeutet, sich direkt oder indirekt mit sozialen oder politischen Fragen auseinanderzusetzen.

Das diesjährige Programm des Festivals liest sich explizit feministisch. Es gibt viele Vorstellungen von FLINTA, eine all-female Company, die Initiative Feministischer Zirkus ist präsent vertreten und ihr endet mit einem „Fun Feminist Takeover“ am DJ-Pult. Welche Rolle spielt Feminismus im zeitgenössischen Zirkus?
LS: Feministische Anliegen erhalten gesellschaftlich mittlerweile mehr Gehör, also auch im zeitgenössischen Zirkus. Weil auch Zirkus in patriarchalen Strukturen stattfindet, darin groß geworden ist und auch heute noch davon beeinflusst wird, muss er sich mit diesen

Themen auseinandersetzen. Das ist die Grundvoraussetzung, mit der wir arbeiten.
MK: Und dieser Feminismus muss intersektional sein. Als Asiatin in Europa mache ich bspw. andere Erfahrungen als weiße Menschen. In einer Kritik über unsere Performance „What Is Left“ wurden wir alle namentlich genannt, aber ich war nicht Mijin Kim, ich war „die zierliche asiatische Tänzerin Mijin Kim“. Und selbst wenn das sicher nicht die Assoziation der Kritikerin war: Wenn wir „zierliche Asiatin“ googeln, landen wir sofort im Porno. Ich habe ihr geschrieben, sie hat nicht geantwortet. Generell habe ich aber Glück, weil meine männlichen Kollegen sehr sensibilisiert sind und wir uns gemeinsam mit diesen Themen beschäftigen können.
LS: Im Zirkus steht der Körper fast immer im Mittelpunkt, er ist essenziell für die Kunstform, und Körper sind nie neutral, sondern immer politisch. Wenn wir uns das historische Erbe von Zirkus ansehen, finden wir viele stereotype Rollenbilder. Diese versucht der zeitgenössische Zirkus zu d…