Von Rosen Ferreira
Illustration: Eva Feuchter

Marie de France, Protagonistin in Lauren Groffs 2021 erschienenem Roman „Matrix“, ist die 17-jährige Halbschwester der englischen Königin Eleonore, an deren Hof sie nach dem Tod ihrer Mutter und Tanten kommt. Sie wird beschrieben als „groß mehr Riesin als Mädchen“, mit einem „reizlosen angevinischen Gesicht“, in dem laut Königin „nur“ Klugheit und Leidenschaft läge. Da die Königin sie loswerden will, sie aber für nicht heiratsfähig hält, schickt sie Marie als Priorin in ein verarmtes Kloster im englischen Nirgendwo. Allein reitet sie im kalten Regen dem düsteren Kloster entgegen, dessen erster Anblick nichts Gutes verheißt: Vor ihr liegen 14 frische Gräber. Durch ihre Erfahrung auf dem Gut der Mutter erkennt sie schnell, wo es im Kloster hakt. Persönlich treibt sie mit dem Äbtissinnenstab Schulden ein, drängt die Kirchenoberen mit kluger Taktik in die Rolle von Bittstellenden und stellt die unrentable Seidenproduktion zugunsten eines Klosterschreibdiensts ein. Dieser bietet seine Dienste günstiger an als Männerklöster und wird zur neuen Haupteinnahmequelle. Marie schart loyale Frauen um sich, die mit ihr am Wachstum des Klosters arbeiten. Dabei geht sie zwar nicht direkt über Leichen, aber fast.

Missy Magazine 03/23, Sonderausgabe, Lieblingsstreber*in
© Eva Feuchter

Getrieben wird sie von Visionen. Nach einer baut sie ein Labyrinth um das Kloster, damit dessen Neider*innen keinen Weg hineinfinden. In einer anderen kommt es zum Kuss zwischen Lieblingsstreberin Maria, der Muttergottes, und Eva, der ersten Frau. Marie erkennt darin nichts Falsches, genauso wenig wie in Liebschaften zwischen den Schwestern, bei denen sie punktuell selbst mitmischt. Im Kloster gelten andere Regeln.

Waren die ersten Jahre geprägt von Verzicht, entwickelt sich das Kloster bald zu einem Ort des guten Lebens. Für frühmittelalterliche Verhältnisse wird Marie alt. Sie hinterlässt ein mächtiges Kloster, während ihre Visionen von starken Frauen in der Kirche dem Feuer anheimfallen. Queerness ist in „Matrix“ nur als Begehren ein Thema. Lauren Groff schien es sonst genug, mit den Leser*innen durchs Mittelalter Richtung sapphischer Frauenpower zu reiten.

Lauren Groffs Roman „Matrix“ ist auf Deutsch 2022 bei Claassen erschienen, aus dem Englischen von Stefanie Jacobs.

Dieser Text erschien zuerst in Missy 03/23.