Von Christine Matschke

Wir treffen uns in einem Café in Berlin-Mitte. Die Kuratorin Léna Szirmay-Kalos und die Choreografin Jasna L. Vinovrški haben draußen Platz genommen. Ich warte drinnen. Schnell finden wir zueinander – in einem leidenschaftlichen Gespräch über alternative Formen des Kuratierens, das Politische in der Kunst und die Vereinbarkeit von Beruf und Mutterschaft. Alles begann im Jahr 2015 mit einem Pilotprojekt am Collegium Hungaricum Berlin. Die damalige Kuratorin fragte Léna Szirmay- Kalos, ob sie eine Idee für das Haus habe. Schnell war klar: Es muss eine Veranstaltung her, die nicht nur ungarische, sondern auch Berliner Künstler*innen einschließt und deren Programm offen ist für Experimente und Entwicklungen. Entstanden ist daraus die Performance- Reihe „Montag Modus“.

In diesem Jahr wird das Format unter dem Motto „Klimata“ erstmals über die Tanz,

Performance und bildende Kunst vereinende Plattform MMpraxis mitorganisiert. Dahinter stehen neben Léna Szirmay-Kalos die Choreografin Jasna L. Vinovrški, der Kunsthistoriker Dániel Kovács und Micaela Kühn Jara (Produktion). „Wir haben uns gefragt, ob es möglich ist, weniger hierarchisch zu organisieren und zu kuratieren. Auch um herauszufinden, welche Themen die aus Berlin und Budapest stammenden Künstler*innen gerade beschäftigen“, erzählt Szirmay- Kalos. „Thematisches Kuratieren ist in der Regel an ein Programm gebunden, für das gezielt Arbeiten in Auftrag gegeben werden. Wir versuchen, weniger vorzugeben und gemeinsam mit den Künstler*innen ein thematisches Feld zu gestalten“, ergänzt Jasna L. Vinovrški .

Missy 05/19, Rolle Vorwärts: Kollektives Klima © Anta
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Die jeweiligen Veranstaltungen finden abwechselnd im Collegium Hungaricum und im Künstlerhaus Flutgraben in Berlin-Kreuzberg statt. „Im Theater gibt es feste Rituale. Man kommt, schaut sich ein abendfüllendes Stück an und geht. Unsere Galeriestruktur ist offener und hat einen starken sozialen Aspekt“, erklärt Léna Szirmay-Kalos. In der Juli-Ausgabe etwa wurde in jeder der drei Etagen des Collegium Hungaricum eine andere Arbeit präsentiert, teils über mehrere Stunden, teils in einem begrenzteren zeitlichen Rahmen. Quereinstiege in den Abend waren genauso möglich, wie diesem chronologisch – bis zur Anschlussdiskussion – zu folgen. Im Treppenhaus sorgte ein mehrere Meter langer Essay für spontane Begegnungen und Gespräche – um ihn zu lesen, musste man rückwärtsgehen.

Vor jeder Folge der „Klimata“-Reihe findet eine einwöchige Residenz statt, bei der alle ungarischen und Berliner Beteiligten anwesend sind und die Gelegenheit haben, sich gegenseitig kennenzulernen. Man berät sich über die Räumlichkeiten und schaut sich die Arbeiten der anderen an. Am Wochenende, kurz vor dem eigentlichen Event, gibt es ein großes Essen für alle. „Dass sie an Residenzen in der eigenen Stadt teilnehmen können, ist für die Berliner Künstler*innen, die beruflich viel reisen müssen, etwas Besonderes“, berichtet Jasna L. Vinovrški. Sie ist Mutter von zwei Töchtern im Säuglings- und Schulalter und weiß, wie unzureichend etwa die Förder- und Arbeitsstrukturen für kunstschaffende Eltern sind. Zu den Montag-Modus-Veranstaltungen kann sie ihre jüngste Tochter einfach mitnehmen: „Ich muss das Muttersein hier nicht verstecken. Die Kolleg*innen betrachten es als Normalität.“

Kollektives Arbeiten heißt für das Kurator*innen-Team, Verständnis füreinander aufzubringen und offen zu sein für andere Perspektiven, Ansätze und Ideen. Das bietet auch die Chance, kritisch mit sich selbst zu bleiben. Letztendlich geht es bei „Montag Modus“ also darum, das politische Potenzial von Kunst durch temporäre transdisziplinäre Kollektive zu evozieren. Anfang Oktober kehrt „Montag Modus – Klimata“ in die Räume des Flutgraben zurück. Das Verhältnis der*des Einzelnen zu ihren*seinen Mitmenschen sowie zu ihrer*seiner Umgebung bietet dann die Grundlage, um in Zeiten von Klimawandel, digitaler Reizüberflutung und technischer Überwachung Formen bürgerschaftlicher Verantwortung künstlerisch auszuloten. Für den Work-in-Progress „Blind Dates“ etwa hat die Berliner Choreografin Christina Ciupke Jasna L. Vinovrški und ihre Kollegin Ayse Orhon eingeladen, drei weitere Kollaborator*innen auszusuchen. In Zweierteams trafen alle sechs Tanzschaffenden aufeinander, um Output für eine kollektive tänzerische Praxis und – unabhängig von Institutionen – Werte für eigene Produktionsbedingungen zu generieren.

Für die Zukunft des MMpraxis-Teams schwebt Léna Szirmay-Kalos ein flexibles Organisationsnetzwerk mit wechselnden Kurator*innen vor. „Der Austausch sollte nicht einseitig bleiben, sondern auch Berliner Künstler*innen nach Ungarn bringen.“

Léna Szirmay- Kalos, Dániel Kovács, Jasna L. Vinovrški (Kuration), und Micaela Kühn Jara (Produktion) sind das Team der Ausstellungsplattform MMpraxis. Produktionen Berliner und ungarischer Künstler*innen unterstützen sie bei der Reihe „Montag Modus – Klimata“, z. B. am 07.10. und 02.12. im Künstlerhaus Flutgraben und im Collegium Hungaricum. mmpraxis.com

Dieser Text erschien zuerst in Missy 05/19.