Die Frau als Verbrecherin ist kulturhistorisch eine ambivalente Figur. Laut der Kriminologie, der vermeintlich naturwissenschaftlichen Verbrechenslehre, die im 19. Jahrhundert entworfen wurde, neigten sowohl jene Frauen, die als „zu weiblich“ galten (sprich: als verschlagen, passiv und hormonell), als auch jene, die man als „zu männlich“ ­erachtete (mit Verhalten und Aussehen, das nicht den Konventionen ihres Geschlechts entsprach), zu kriminellen Taten. Zudem gilt noch heute in vielen Ländern Abtreibung als Straftat, was Abtreibende per definitionem zu Kriminellen macht. Sich dem Bild von Verbrecherinnen

sowie wahren Verbrecherinnen zu nähern, ist entsprechend herausfordernd. Dieser Herausforderung angenommen haben sich mehrere Kunst- und Wissenschaftshistoriker*innen, darunter Jadwiga Kamola, Sabine Becker und Ksenija Chochkova Giese, die drei Herausgeberinnen des Bandes „Criminal Women“, der anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im LA8, dem Museum für Kulturge­schichte des 19. Jahrhunderts in Baden-Baden, ­erschienen ist.

Missy Magazine 04/23, Verschlagen Hormonell, LiteraturaUFMACHER
Alle Bilder © privat

Gemäß dem Schwerpunkt des Museums geht es im Buch primär um Verbrecherinnen bzw. deren Rezeption vom 19. Jahrhundert bis hin zum Nationalsozialismus, wobei ein Essay auch auf die Bibel schaut und die Holofernes köpfende Judith als quasi „Proto-Kriminelle“ untersucht. Besonders spannend ist der pathologisierende Blick der Kriminologie auf die Frauen, der sich vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte. Gerade wegen Menstruation, Schwangerschaft oder Menopause sei die Frau besonders anfällig für Verbrechen, so die damalige These, und auch an ihrer Physiognomie meinte man, kriminelle Frauen erkennen zu können – womit sich eine Linie zur „Rassen“-Ideologie ziehen lässt.

Die Essays in dem Band beschreiben nicht nur gesellschaftliche und kriminaltheoretische Veränderungen, sondern schauen auch exemplarisch auf einige Frauen, die als kriminell galten. Neben der alttestamentarischen Judith ist das u.  a. Eva Schulze-Knabe (1907–76), die Malerin und zugleich Widerstandskämpferin gegen das NS-Regime war und der ein sehr interessanter Text gewidmet ist. Und wer nach der Lektüre des Bandes noch mehr über „Criminal Women“ erfahren will: Die Ausstellung im LA8 kann noch bis Ende Februar 2024 besucht ­werden! Isabella Caldart

 Jadwiga Kamola, Ksenija Chochkova ­Giese & Sabine Becker (Hg.) „Criminal Women“

Verbrecher Verlag, 192 S., 24 Euro

Dieser Text erschien zuerst in Missy 04/23.