Ein verzerrtes lila Gesicht stützt sich melancholisch auf eine Hand und schaut nach links.
© Lulu Lin

Wie die Zeiten sich ändern: Noch vor zehn, 15 Jahren habe ich all jene, die die Politikverdrossenheit junger Menschen bemängelten, auf das Internet verwiesen: Da tummelten sich „die jungen Leute“, die etwas ändern wollten, die Diskriminierung satthatten und Kapitalismus scheiße fanden. Wir diskutierten in Blogs und Foren, planten öffentliche Aktionen oder heizten den nächsten feministischen Shitstorm gegen sexistische Werbung an. Und heute? Heute rate ich allen, ihre Accounts öfter mal ruhen zu lassen. Was soll die x-te Diskussion zu geschlechtergerechter Sprache bringen – außer schlechter Laune? Schon länger habe ich das Gefühl, dass es kaum etwas nützt. Zu oft haben wir uns im Kleinen verhakt und an Worten festgebissen.

In der Blütezeit der Blogs verbrachte ich viel Zeit im Netz. Wir Blogger*innen haben sehr um treffende Bezeichnungen und differenzierte Analysen gerungen. Entdeckten wir ein sexistisches Video, begann der sprichwörtliche „Scheißesturm“: Wir legten uns mit Unternehmen an und attackierten ihre Social-Media-Accounts. Einige Male gelang es uns, dass gewaltverherrlichende Videos zurückgezogen wurden

und die PR-Abteilungen gezwungen waren, halbherzige öffentliche Entschuldigungen zu schreiben. Es geht voran mit dem gesellschaftlichen Wandel! Dachte ich zumindest.

Meine Leidenschaft von damals vermisse ich manchmal. Den Glauben daran, dass sich wirklich grundlegend etwas verändern kann, auch. Ich bin zynischer geworden in den letzten Jahren. Es stimmt, dass die (netz-)feministische Gegenöffentlichkeit die Debatten zu Sexismus und Rassismus in den 2010er-Jahren im deutschsprachigen Raum nachhaltig verändert hat. Selbstverständlicher reden wir heute über Themen wie sexualisierte Gewalt, rigide Körpernormen oder Rassismus bei der Polizei. Auf der diskursiven Ebene hat sich viel getan. Strukturell verändert hat sich jedoch wenig. Heute kalkulieren Firmen den Shitstorm ein. Hauptsache Klicks. 

Dazu kommt eine Debattenkultur, die geprägt ist von Polarisierung: Wer niedrigen Blutdruck hat, muss nur eine halbe Stunde auf der Plattform X verbringen, die heute mit rechten Verschwörungserzählungen ge…