Ich erinnere mich noch gut an einen kühlen Samstag im Frühjahr 2001. Meine Mutter nimmt mich erstmals, auf der Suche nach einem passenden Bikini, in ein Miederwarengeschäft mit. Die Notwendigkeit, mit meinen zarten 14 Jahren ein Fachgeschäft für Unterwäsche aufzusuchen, ergibt sich damals wie heute daraus, dass wir eine Familie großbusiger Frauen sind: Meine Uroma mütterlicherseits, meine Oma, meine Mama, meine Schwester und ich – wir alle haben große Brüste.

© Tine Fetz

Mit 14 fand ich das desaströs und träumte von dem Tag, an dem ich meinen Busen würde verkleinern lassen. Einerseits, weil ich insbesondere damals von cis Männern ohne Ende sexualisiert und exotisiert wurde – eine ekelhafte Kombination. Andererseits, weil ich in meinen jungen Teenagerjahren unbeschwert süße Triangel- und Bandeaubikinis tragen wollte, wie die Mädchen in der „Sugar“. Damals, bei einer BH-Größe von 65G, keine Option. Und so stehe ich an diesem Samstagmittag in der Umkleidekabine eines engen Geschäfts, das bis unter die Decke mit Büstenhaltern in allen erdenklichen Größen, Farben und für die unterschiedlichsten Anlässe vollgestopft ist.

Während ich mich in meiner jugendlichen Unsicherheit im Spiegel betrachte, reißt die Besitzerin des Ladens, ebenfalls eine Großbusige, deren Make-up-Inspiration die 1970er-Jahre zu sein scheinen – blauer Lidschatten, roter Lippenstift und blondierte Föhnwelle –, ohne Ankündigung den Vorhang meiner Kabine auf. Sie mustert kritisch den Sitz des weinroten Bikinioberteils und rät mir, die Seitenteile des Slips auf die Höhe meines Bauchnabels zu ziehen, „dann sehen deene Beene länger aus weeßte, wie bei den Frauen in Baywatch“.

Als ich mich kürzlich – durchs Schwangersein passt mir keiner meiner ohnehin großen BHs mehr – in der Kabine eines entsprechenden Fachgeschäfts für Menschen mit Brüsten ab Größe Doppel-D wiederfinde, kommt mir diese Erinnerung zurück. Mein Bauch ist noch vergleichsweise klein, mein Oberkörper besteht dafür inzwischen zu gefühlten 83 % aus Busen. Zugegeben, heute ist alles ein bisschen anders: Das Geschäft ist ordentlich und in lichten Farben gestaltet. Auch der Vorhang wird nicht mehr aufgerissen, stattdessen werde ich vorsichtig gefragt, ob ich bereit für die Begutachtung bin.

Josephine Apraku

ist nicht mehr ganz so neues Elternteil, macht Bildungsarbeit zu Diskriminierungskritik, schreibt Dinge und gründet gerade neu.

In meine Kabine tritt eine der Verkäuferinnen des Ladens. Freundlich lächelnd erklärt sie, „die stillende Brust ist besonders schön, weil sie so prall ist“. Ich gebe zurück, dass ich –  der Still-Bh, den ich in diesem Moment anprobiere, ist in Größe K wie Karla – keine Notwendigkeit in pralleren Brüsten sehe und eine Größe G zur Produktion von Milch meiner Meinung nach ausreichend ist und eigentlich fast an Maßlosigkeit grenzt. „Ganz ehrlich“, schließe ich ab, „ich bin voll okay damit, wenn mein Busen bis zum Bauchnabel hängt, ich mache zehn Kreuze, wenn der wieder leicht ist und nicht ständig wehtut und meine BHs mir wieder passen.“

Während ich mich an diesem sommerheißen Donnerstagvormittag im Spiegel betrachte, bin ich unsicher, ob ich lachen oder weinen soll. Der krankenhausweiße bügellose Schwangerschafts-BH, den ich trage, ist unsäglich. In diesem Augenblick des Déjà-vus, 17 Jahre nach meinem ersten Besuch in einem Fachgeschäft für Miederwaren, fühle ich mich wieder wie damals mit 14. Wie damals in der Pubertät, als ich das erste Mal das Gefühl habe, dass mein Körper, der mir sonst mein liebster Ort ist, mir entgleitet.

Meine Brüste scheinen wieder unaufhörlich zu wachsen, sie schmerzen. Ab und zu, wenn ich lache, pinkle ich ein bisschen ein. Ich bin plötzlich kurzatmig und muss in Gesprächen Pausen machen, weil mir die Luft weg bleibt. Sex ist gar nicht mehr so einfach, entweder, weil mein Bauch im Weg ist und ich quasi auf Knopfdruck Sodbrennen bekomme. Ich habe nix zum Anziehen – Kleidung, selbst wenn sie mir noch passt, drückt, reibt, juckt, zwickt, ist unbequem. Kurz: Alles, was für mich bis vor Kurzem selbstverständlich war, ist es plötzlich nicht mehr. Mein gewohnter Flow ist weg. Für die Schwangerschaft brauche ich offensichtlich einen neuen.

Schwangersein ist gar nicht so anders als Pubertät – in rasanter Geschwindigkeit ändert sich plötzlich alles, mein Körper, meine Hormone, meine Stimmung. Mich erinnert das ein bisschen an diesen erschreckend komischen Geisterbahnritt, den ich schon vor Jahren hinter mich gebracht hatte. Für mich besteht die Herausforderung darin: einen Teil gewohnter, und als Feministin beständig erkämpfter, Autonomie neu zu denken. Schwer ist das deshalb, weil ich mich nach knapp 32 Lebensjahren selbstbestimmt in und mit mir selbst fühle. Leicht ist es deshalb, weil ich dieses Chaos schon kenne und ich weiß, dass das vorbeigeht. Wie damals mit 14, als die Verkäuferin ungefragt den Vorhang zu meiner Kabine – meinem kaum bekleideten Körper – aufreißt, fühle ich mich dabei so unendlich verletzlich.