Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen: „Scheiße“, das erste Wort meiner jüngeren Schwester. Ich muss damals 16 gewesen sein. Ihr stolzes Strahlen, als sie nach Monaten der Übung, nach Monaten der Sprechversuche – sie hängt Silben aneinander, brabbelt sich durch verschiedene Tonlagen – ein Wort spricht. Sie sagt es bestimmt und klar, für alle verständlich. Freude breitet sich auf ihrem Gesicht aus. Sie hat gesprochen, ein Wort, das wir, ihre anderen Familienmitglieder, auch verwenden und als Wort erkennen.
Meine Mutter, meine ich mich zu erinnern, lacht verzweifelt. Einerseits sind der Stolz und die Freude meiner Schwester ansteckend. Andererseits hat sie geflucht, weil wir es in unserer Familie offensichtlich auch tun – ziemlich oft sogar.

©Tine Fetz

Zeitsprung: Mit einer Freundin, sie erwartet im Herbst diesen Jahres ihr erstes Kind, spreche ich beim Spazieren über Erziehung, genauer über die Herausforderungen, die wir in der Zukunft wähnen. Darüber, dass wir ab jetzt nachgeahmt werden, mit all den fragwürdigen Dingen, die wir tun – Druck oder auch nicht. „Ich werde mich ganz schön zusammenreißen müssen“, lacht sie, „ich fluche ständig und benutze andauernd Schimpfwörter!“ „Ist doch nicht schlimm“, entgegne ich gelassen. „Ich finde es eh komisch“, erkläre ich weiter, „dass Erwachsene fluchen dürfen und Kinder nicht.“ „Außerdem“, mein stilldementes Hirn ist in Fahrt gekommen, „bei Begriffen, die diskriminieren, passen die meisten nicht so auf, das ist doch schräg.“ „Total“, nickt meine Freundin zustimmend.

Tatsächlich denke ich darüber noch eine Weile nach. Ich persönlich finde Schimpfwörter, die ich zu allen Menschen gleichermaßen sagen kann, selbst im Streit, nicht besonders schlimm. Mit dieser Ansicht stehe ich ziemlich oft alleine da, deshalb lohnt es sich, meine Perspektive zu erläutern: Schimpfwörter, die nicht diskriminieren, sind so wundervoll unpersönlich. In erbitterten Streitsituationen ist ein „fick dich“, finde ich, deutlich netter als ein sexistisches „du bist mal wieder total hysterisch und überemotional!“ Ebenfalls besonders fies: eine auf die jeweilige Persönlichkeit des Gegenübers zugeschnittene Abwertung – ausgesprochen in vermeintlich nettem Ton. Verletzend, so sehe ich das, ist, wenn Menschen ihre soziale Machtposition ganz selbstverständlich in intimen Momenten ausagieren.

Schimpfwörter knüpfen nicht notwendigerweise an Diskriminierung an. Sobald ein Begriff in die Kategorie „Schimpfwort“ fällt, ist ein Wort böse und darf nicht gesagt werden. Solange etwas freundlich verpackt werden kann – selbst wenn die Verletzung das Ziel ist, selbst wenn strukturelle Benachteiligung in persönlichen Beziehungen reproduziert wird –, ist alles in Ordnung. Daraus ergibt sich dann, dass Beleidigungen, die an strukturelle Macht anknüpfen, oftmals sagbar sind, wohingegen Aussagen wie „fick dich“ gar nicht gehen – und das, obwohl das Ziel, nämlich zu beleidigen, genau das gleiche ist. Das finde ich bemerkenswert. Ich persönlich finde es viel gewaltvoller, wenn strukturelle Gewalt gegen mich verwendet wird.

Josephine Apraku

ist nicht mehr ganz so neues Elternteil, macht Bildungsarbeit zu Diskriminierungskritik, schreibt Dinge und gründet gerade neu.

Wut, Frust und Ärger müssen kanalisiert werden können – auch bei Kindern. Das Ziel ist aus meiner Sicht nicht, dass Gefühle runtergeschluckt werden. Manchmal brauchen Menschen, das gestehe ich allen zu, ein Ventil, um mit Momenten der Wut umzugehen. Klar gibt es darüber hinaus Möglichkeiten, verschiedenste Emotionen zu durchleben. Und schimpfen mit Schimpfwörtern ist eine davon. Schimpfen mit Schimpfwörtern kann ein Schritt für den ersten akuten Moment sein.

„Verdammte Scheiße“ und „fick dich“ gehen für mich persönlich klar. Auch wenn, zumindest sage ich das jetzt, mein Kind es sagt. Mir ist wichtig, dass eine Beleidigung nicht diskriminiert. Meine jüngere Schwester, übrigens, beschimpft vergleichsweise wenig.