Text: Josephine Apraku
Illustration: EL BOUM

Annette Schindler arbeitet als Sexualtherapeutin und hat gemeinsam mit Sara Rodenhizer den alternativen Sexladen Other Nature gegründet. Missy-Kolumnistin Josephine Apraku spricht mit ihr über Sexualität als Elternteil während der Pandemie und Care-Arbeit in Partnerschaften.

Josephine Apraku: Sexualität und Elternschaft werden selbst in feministischen Zusammenhängen oft ausgeklammert. Jetzt sind die Bedingungen noch mal extra erschwert: Menschen hocken tagein tagaus aufeinander, die Kinder sind zu Hause und schon das letzte Jahr hat einmal mehr offenbart, dass die Arbeitsteilung oft nicht gerecht ist. Kann mensch da Sex haben?
Annette Schindler: Das ist ein großes Thema, weil Leute in Stresssituationen sehr unterschiedlich mit ihrer Sexualität umgehen. Bei vielen schwenkt es in ein Extrem über: Während einige aufgrund der vielen Zeit mit sich selbst mehr zur eigenen Sexualität finden, entwickeln andere eine komplette Unlust. In einer Konstellation, wo Lust und Unlust aufeinandertreffen, ergibt das ein wahnsinniges Konfliktpotenzial. Wenn dann Kinder dazukommen, muss ein bisschen weiter ausgeholt werden mit der Frage: Wie viel Raum hat Sex davor bekommen? Dann kommen Faktoren dazu wie: Wo schläft das Kind? Gibt es ein Badezimmer, das sich abschließen lässt? Ist ein Quickie etwas, das in der Beziehung Wert hat? Kann Erregung im Alltag spielerisch hochgerufen und dann wieder losgelassen werden, weil die Kinder wieder ins Zimmer kommen?

JA: Welche Herausforderungen ergeben sich denn durch die aktuelle Situation, die Pandemie und den damit verbundenen Lockdown, für Partner*innenschaften noch?
AS: Corona ist ein Brennglas auf bestehende Beziehungen: Beziehungen, die vorher recht stabil waren, können in dieser Situation vielleicht sogar eine Stärkung des Miteinanders erfahren. Beziehungen, die wacklig waren, Beziehungen mit traumatisierten Partner*innen, Beziehungen, die im Vorfeld in einer Krise waren, z. B. durch ungerechte Aufteilung der Sorgearbeit, erleben aktuell mehr Druck.

JA: Der große Teil der Berichterstattung zu Pandemie und Ungleichberechtigung aus dem letzten Jahr bezieht sich auf heterosexuelle cis Paare. Würdest du sagen, dass die Frage nach der Aufteilung von Sorgearbeit in allen Partner*innenschaften für ähnlich viel Stress sorgt? Denn ich würde schätzen, dass sich patriarchale Strukturen durchaus unterschiedlich auswirken – also mit Blick auf geschlechtliche Identität und auch sexuelle Orientierung.
AS: Wenn es um sogenannte Regenbogenfamilien oder Queer-Parenting geht, also Familien, in denen sich um Reproduktion ganz anders Gedanken gemacht werden muss, erlebe ich immer wieder, dass da schon im Vorfeld besser kommuniziert wird. Das hat oft den Grund, dass der Kinderwunsch nicht einfach „passiert“, sondern sich mehr Gedanken gemacht wurden, z. B. über Adoption, die Beschaffung von Sperma oder Ähnlichem. Da gibt es vorher besseren Austausch darüber, wer welche Rolle übernehmen will, wessen Kinderwunsch stärker ist und dass es gleichberechtigt aufgeteilt sein sollte. Ich habe das Gefühl, dass diese Beziehungen ehrlicher miteinander sind und sich besser vorbereiten, wie die jeweiligen Rollen aussehen könnten. Das heißt natürlich nicht, dass diese Beziehungen nicht auch daran scheitern, manche Ideale platzen oder es Beziehungskonflikte gibt. Aber ich denke schon, dass, wenn es um Sorgearbeit geht, hetero Familien das größere Problem haben.
Dadurch dass hetero cis Beziehungen die Norm sind, haben sie viele Privilegien. Aber gerade weil sie so normiert sind, wird in diesen Beziehungen oft nicht hinterfragt. Vieles scheint hier von Beginn an festgelegt: wer schwanger wird, das Kind zur Welt bringt und stillt. Da schleichen sich Mechanismen ein und viele Paare kommen nicht auf den Gedanken, Sachen schon vorher abzusprechen, wer es wie haben will. Wir sind umgeben von Bildern, die hetero cis Beziehungen zur Norm machen, und die meisten in diesen Beziehungen leben danach. Das ist oft der Bereich, den ich anspreche: Was ist mein Bedürfnis? Welches Bedürfnis hast du? Wie kann ich mir meiner Bedürfnisse bewusst werden und sie ansprechen?

JA: Ich finde das eine schöne Perspektive: Wenn wir über Diskriminierung sprechen, geht es meist um deren negative Auswirkungen. Dabei ist damit auch viel Kreativität verbunden: dass Menschen, die Diskriminierung erfahren, selbst Wege finden, die eben nicht der Norm entsprechen. Sie müssen die Kommunikation dazu, wer sie sind und was sie wollen, mit sich selbst und anderen aufnehmen. Genau das ist ja für Beziehungen, wie du es beschreibst, wichtig.
AS: Ja! In hetero Beziehungen sind es vor allem Frauen, die die emotionale Arbeit in der Beziehung leisten, sich Skills aneignen und das Gespräch zu ihren Partnern suchen. Da machen es sich cis Männer schon sehr einfach, das ist ein Teil meiner Arbeit, bei dem ich sehr stark die Auswirkungen des Patriarchats wahrnehme. Cis Männer nehmen oft die Position „ich bin ja bereit, etwas zu tun“ ein, sie übernehmen aber selten den aktiven Part. Für sie ist es gesellschaftlich einfach. Das wird mit der Pandemie nicht besser.