TEXT: Debora Antmann
ILLUSTRATION: El Boum

Es ist Hanukka, die Zeit der Latkes und Sufganijot, der jüdische Feiertag, der acht Tage lang ausgiebig das Fett feiert, und ich dachte, ich nutze das, um in diesem Jahr ebenfalls acht mal Liebe zum Fett zu feiern. Denn als Hengameh neulich fragte, wer Literatur kenne, in der dicke Queers begehrt würden – also nicht die Hauptcharaktere sind, sondern das Subjekt der Begierde –, wurde deutlich: Da sind nicht viele. Aber die, die es gibt, sind jewish as fuck. Da dachte ich, weil Hanukka ist, stelle ich euch mal acht fette jüdische Leckerbissen zum Lieben aus Literatur, Film, Aktivismus und überhaupt zusammen.

  1. „Eight Kinky Nights. A Chanukkah Romance“ von Xan West

Das ist einfach! Das Buch von Xan West spielt sogar selbst mit dem Thema Hanukka und im Fokus stehen queere, behinderte, dicke und sehr jüdische Charaktere. Die vier Seiten eines perfekten Hanukka-Roman-Dreidels. Und auch beim Thema Alter enttäuscht „Eight Kinky Nights“ nicht. Die Hauptcharaktere Jordan und Leah sind Ende vierzig und Anfang fünfzig. Damit durchbricht Xan das klassische „Jung und sexy“-Narrativ, wenn es um Sexualität und Kink in Büchern geht, und erzählt eine wunderbare Geschichte von nicht mehr ganz so junger, aber vielschichtiger Attraktivität, den Herausforderungen, wenn Beziehungen sich ändern, und kinky Feiertagen. Xan West ist leider 2020 verstorben, umso wichtiger, die Bücher, die wir haben, zu lieben und zu lesen.

2. „Well Rounded” von Shana Myara

Debora Antmann

1989 in Berlin geboren und die meiste Zeit dort aufgewachsen. Als weiße, lesbische, jüdische, analytische Queer_Feministin, Autorin und Körperkünstlerin, schreibt sie auf ihrem Blog „Don’t degrade Debs, Darling!“ seit einigen Jahren zu Identitätspolitiken, vor allem zu jüdischer Identität, intersektionalem Feminismus, Heteronormativität/ Heterosexismus und Körpernormen. Jenseits des Blogs publiziert sie zu lesbisch-jüdischer Widerstandsgeschichte in der BRD, philosophiert privat über Magneto (XMen) als jüdische Widerstandsfigur und sammelt High Heels für ihr Superheld_innen-Dasein.

Der Dokumentarfilm von der jüdischen Filmemacherin Shana Myara zeigt diverse dicke und fette Perspektiven und legt dabei besonderen Wert darauf, queere, be_hinderte, Schwarze und eben auch jüdische Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Dabei wechseln sich Interviews mit Animationen ab. Sie gibt dabei die Möglichkeit, Körperakzeptanz, Körperbilder und -gegenbilder in Referenz zu den jeweils eigenen Wurzeln zu setzen, zu verstehen und einzubinden. Das Schöne an der Dokumentation ist auch, dass zur Abwechslung nicht aus dem Kontext USA, sondern immerhin von nebenan – aus Kanada –  erzählt wird. Inhalt ist vor allem, wie sehr die vier Interviewten in der Kulturbranche mit Fettenfeindlichkeit zu kämpfen haben. Der Film behält dabei stets eine empowernde Blickrichtung und lässt gleichzeitig keinen Zweifel an „Body Positivity is a riot“.

3. „A Harvest Of Ripe Figs” von Shira Glassman

Irgendwas zwischen Drachensaga und Murder-Mystery. Repräsentation spielt hier eine große Rolle und was ich besonders an dem Buch mag: Königin Shulamit hat ihr sechs Monate altes Baby unter dem Arm, während sie Detektivin spielt, um die verschwundene Geige von Esther aufzuspüren. Eine Welt voller Magie – legaler, wie illegaler, Lesben, Queers, jüdischer und dicker Charaktere. „A Harvest Of Ripe Figs“ ist das dritte Buch in einer Reihe, kann aber gut und gerne unabhängig von den anderen gelesen werden (ich weiß nicht mal genau, worin es in den anderen geht).  Glassman gelingt es, eine wunderbare und fantastische Welt im imaginären Perach zu schaffen. Es versucht, eine Fantasy-Welt jenseits der westlichen Norm zu schaffen und mit Aschkenormativität zu brechen. Es verrennt sich dabei leider an einigen Stellen in Stereotype, aber immerhin ist es mal keine Aschkenasi-Story in New York.

4. „The Fat Liberation Manifesto” von Judy Freespirit

Es ist kurz, umfasst sieben Punkte, ist von 1973 und jede*r sollte es mal gelesen haben. Generell sollte jede*r alles von und zu Judy Freespirit gelesen haben, die leider 2010 verstorben ist. Sie gilt als eine der Begründer*innen des lesbian feminist fat liberation movements. Sie hat zahlreiche Tanz-, Theater und aktivistische Gruppen wie das Fat Lip Theater oder Fat Underground gegründet. Neben Judy Freespirit gab es noch andere wichtige dicke Jüdinnen, die die Bewegung entscheidend mitgetragen haben. Z. B. Vivian Mayer, Judith Stein, Rearae Sears, Lynn Mabel-Lois und Elly Janesdaughter. Auch von ihnen lohnt es sich, alles zu lesen, was man so in die Finger bekommt. Immer mit dem Hinweis, dass wir von den Siebzigern sprechen. Und trotzdem: Elly Janesdaughters Brief „fatphobic feminists“ hätte es ohne Frage auch heute noch in sich.

 

 

5. „Sarahs Töchter“ von Elana Dykewomon

Wie kann man nicht schon bei diesem Nachnamen vermuten, dass es sich um ein Meisterwerk handelt? Tatsächlich ist „Sarahs Töchter“ ein fantastischer Roman. Ich habe den ersten Teil des Buches bestimmt sechsmal gelesen, bevor ich weiterkonnte. Nicht weil das Buch irgendwie Probleme bereitet, sondern ganz im Gegenteil: weil ich es so schön fand. Und ich mit dem Wissen, dass jeden Moment die russischen Pogrome um die Ecke kommen und die Ruhe der ersten Seiten bald durch Verzweiflung und Trauer abgelöst würden, nur noch einen Moment länger im Alltag der Protagonistinnen verweilen wollte.  Bevor ich mir das Herz brechen lasse. Denn ich war mir fast sicher, dass mich der Roman wie ein schluchzendes Häufchen Elend zurücklassen würde. Tatsächlich lässt uns Elana Dykewomon bei der Reise mit den lesbischen Figuren Chawa, Gutke, Rose und Dovida aber immer wieder durchatmen, bevor es gemäß jüdischer Realität wieder richtig, richtig  schlimm wird. Und es wird lesbisch und dick geliebt. Was soll ich sagen: fantastisches Buch!

6. „Mechanic Shop femme“ von Chava Milchtein

Mir war nicht klar, dass Autos so jüdisch und lesbisch und fett und cool sein können und dann kam Chaya Milchtein um die Ecke. Die US-Amerikanerin betreibt das Blog „Mechanic Shop Femme“, auf dem es zum einen um Autos, aber auch um Essen, Lifestyle und Mode geht. Die Seite ist inzwischen so professionell, dass man Kurse buchen und Workshops über die Website machen kann. Wenn man oben im Menü „Blog“ ansteuert, öffnet sich eine faszinierende Welt aus fettem Lifestyle, Mode und Autos und ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich es liebe, dort rumzucruisen. Denn egal, worum es geht, Chaya Milchtein hat fantastische Klamotten an und unter Lifestyle finden sich so wundervolle Sachen, wie der offene Brief an ihre Gesichtsbehaarung. Für mich muss es ja nicht immer der fette Roman sein, für mich darf es auch gerne die dicke jüdische Bloggerin sein.

7. „Milk Fed“ von Melissa Broder

Ja, „Milk Fed“. Was soll man da sagen. Es ist ein ambivalentes Buch. Aber was mir bei allen Rezensionen gefehlt hat, vor allem jenen, die sich mit der Frage beschäftigen, inwieweit das Buch fat-shamend und aus fat-politischer Perspektive problematisch ist, war die jüdische Perspektive – besonders mit Blick auf das Thema Essen. Goyim reden über ein Buch, dessen jüdische Erzählung und Wert sie gar nicht verstehen. Vor allem weil uns seit dem Roman „Disobedience“ 2006 keine jüdisch-jüdisch-lesbische Beziehungsgeschichte mehr gegönnt wurde.  Generell werden wir – außer in religiösen Kontexten – eben meist nur mit Goyim gepaart. Also abgesehen davon, dass dies ein weiteres Buch ist, in dem eine dicke Person begehrt wird – auch wenn sich darüber streiten lässt, wie sehr wir die Darstellung hier (nicht) lieben –, ist es aus jüdischer Perspektive ein durchaus relevantes Buch und für unsere hungrigen Gemüter endlich mal wieder ein bisschen jüdisch-jüdisches Lesbenfutter.

8. „Fremd_Körper“ von mir

Auch ein alter Text. Zwar nicht von 1973, aber immerhin von 2013 und gleichzeitig zeitlos und wundervoll. Ein Text, der wie eine Liebeserklärung von meinem dicken jüdischen Körper erzählt. „Ich sehe heute jede Kurve, jede Biegung, jeden Schwung meines Körpers und finde sie unbeschreiblich schön. Ich mag und verstehe ihn, so überzogen das klingen mag, als kunstvoll. Ich bin nicht mein Körper, aber er gefällt mir. Er ist für mich eine Kostbarkeit, ein Kleinod vielleicht.“ Mehr jüdische Liebe zu jüdischem Fett geht quasi nicht.

 

Happy Hanukka!