Feministische Familiensprechstunde von Josephine Apraku

Die letzten Monate folgten in meinen Gedanken diesem Rhythmus: Zu dieser Zeit im letzten Jahr war ich schon schwanger, wusste es aber noch nicht. Zu dieser Zeit war ich richtig doll krank, wahrscheinlich weil ich schwanger und mein Immunsystem dadurch geschwächt war. An diesem Abend habe ich ein Glas Wein getrunken, ich wusste noch immer nicht, dass ich schwanger bin. An diesem Tag habe ich einen Schwangerschaftstest gemacht, dessen Ergebnis mich überrascht hat. Dieser Tage saß ich weinend zu Hause und habe krampfhaft versucht, meine Arbeit hinzubekommen, dabei hätte ich gern mehr Raum für mich und diese schwierige Entscheidung gehabt. An diesem Donnerstag habe ich erstmals die Übelkeit verspürt, die ich aus der ersten Schwangerschaft kenne. An diesem Tag war ich bei der Frauenärztin, die die Ergebnisse diverser Schwangerschaftstests bestätigte, die ich ungläubig und panisch zugleich gemacht hatte. Am gleichen Nachmittag bin ich weinend über eine Einkaufsstraße gelaufen, weil es im 21. Jahrhundert nicht möglich ist, größere Beträge in jener Praxis mit einer EC-Karte zu bezahlen. An diesem Tag habe ich morgens eine Pille eingenommen, die den Abbruch der Schwangerschaft einleitete – dreißig Minuten später, nachdem ich Tränen und Rotz von meinem Gesicht gewaschen hatte, leitete ich einen Workshop. Das war der Tag, an dem ich allein zu Hause zu bluten begann – ohne Unterleibsschmerzen, denn ich hatte vorsorglich eine Ibu eingenommen. In dieser Woche habe ich noch geblutet. In dieser Woche auch. In den drei Wochen, die darauffolgten ebenfalls, dann Ende.

Bevor ich weiterschreibe, möchte ich sagen, dass ich mich nicht schuldig fühle, dass ich keine Scham über meine Entscheidung empfinde und dass diese Entscheidung richtig für mich ist. Trauer fühle ich trotzdem, vor allem jetzt, ein Jahr danach. Trauer fühle ich darüber, eine solche Entscheidung habe treffen zu müssen. Ich fühle sie auch darüber, dass mein Kind so ein freundlicher und neugieriger Mensch ist und das Kind, das hätte sein können, bestimmt auch ein zauberhaftes kleines Menschlein gewesen wäre. Dennoch, ich bereue meine Entscheidung nicht. Als chronisch kranke und freiberufliche Person hätte ich schlicht nicht die Energie gehabt, noch mal all das durchzumachen, was in Teilen schon hinter mir liegt.

Ein Jahr danach
© Xueh Margrini Troll

Diese Erfahrung hat sich bis in die tiefsten Schichten meines Körpers eingeschrieben. Sie ist ein Stachel, von dem ein stiller Schmerz in alle anderen Teile meines Seins ausstrahlt, an einer Stelle meines Körpers – meinen Rücken vielleicht? –, den meine Hände nicht erreichen. Irgendwo habe ich gelesen, dass eine Schwangerschaft auch Jahre später im Hirn der Person, die schwanger war, nachgewiesen werden kann. Chromosomen sind die Überbleibsel dessen.

Josephine Apraku

ist nicht mehr ganz so neues Elternteil, macht Bildungsarbeit zu Diskriminierungskritik, schreibt Dinge und gründet gerade neu.

Und doch hoffe ich, dass dieser Teil von mir irgendwann geheilt, zumindest aber okay ist.

Ich schreibe das alles nicht, um Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind wie ich im letzten Jahr abzuschrecken. Ich schreibe das, weil zu einer besseren gesundheitlichen Versorgung nicht der nur der verbesserte Zugang zum Abbruch einer Schwangerschaft gehört, sondern auch der Umgang, mit allem, was darauffolgt. Was folgen kann, ist so unterschiedlich wie die Personen, die Schwangerschaften abbrechen, ist so unterschiedlich wie ihre Gründe dafür. Wir brauchen eine Nachsorge, die dieser Unterschiedlichkeit, den Bedürfnissen, die Menschen in dieser Situation haben, Raum gibt. Einen Raum, der jenseits von Argumentationen für oder gegen Schwangerschaftsabbrüche Menschen, die sich entscheiden, eine Schwangerschaft zu beenden, ins Zentrum stellt und für sie sorgt.