Triple Water 💦 von Evan Tepest

Sex ist immer schon etwas anderes als es selbst. Müssen wir verstehen, was wir begehren? Wo fängt die Lust an und wer entscheidet, was wir hot finden? Von PMS-Sex bis Porn-Gifs, über die juicy Texte der 70er-Jahre Radikalfeminist*innen bis hin zu queeren Heteros – in Triple Water wird es lesbisch, lebensfroh und nur ein kleines bisschen verklemmt.

Mein Butch Buddy Kay und ich hatten über Jahre einen problematischen Running Gag: „Na, bist du in der letzten Viertelstunde Enby geworden?“, fragten wir uns alle paar Wochen in einer Chatnachricht oder bei unseren viel zu seltenen Treffen in Wien oder Berlin. Während wir auf diese liebevoll gemeinte Weise kommentierten, dass reihenweise Lesben in unserem Umfeld ihre Pronomen und Vornamen änderten, sprach daraus unsere ureigene Sehnsucht.

© Viki Mladenovski

Mit meinem allerersten Text für Missy hatte ich vor sieben Jahren mein öffentliches Coming-out. Ich war zögerlich, mit meiner ersten Kolumne ein weiteres Coming-out zu beschreiben. Sicher hatte ich Angst vor Anfeindungen und Ignoranz. Davor, Kolleg*innen und Peers auf der Lohnarbeit oder in der Familie zu überfordern. Mich als nicht-binär zu outen erschien mir egoistisch und flimsy. Eine Zumutung. Ein Flexen. Und vor allem etwas, mit dem ich der hart erkämpften Zentralität lesbischer Körper, Sexualpolitiken und Intimacy in meinem Leben untreu werden könnte.

Evan Tepest

Evan Tepest ist Autor*in und Journalist*in. Evans Essayband „Power Bottom“ über lesbisch-queeren Sex erschien im März im MÄRZ Verlag. Dey ist Teil des Kollektivs DYKE DOGS, mit dem Evan die gleichnamige lesbische Kulturreihe organisiert und Finalist*in des Open Mikes 2020 war.

Ich hatte Angst, mein Commitment für den lesbischen Sex zu betrügen. Meine Loyalität galt so lange dem damit verbundenen Weinen und Processen, dem Wunder, dass so etwas unter Frauen möglich war. Ich bewundere die „brave older [lesbian] women who had lived their lives“[1], die Butches und Femmes, die den Begriff „Frau“ seit Jahrzehnten ausdehnen und dafür gesellschaftlich sanktioniert werden.

Natürlich waren nie alle Lesben Frauen. Ich weiß, dass unsere Community mehr durch ein Commitment gegenüber Astrologie-Memes und feministischem Streik zusammengehalten wird als durch unser Gender. Dass, wie meine fellow Kolumnist*in Felicia Ewert schreibt, Lesben „einfach alles sein“ können. But I could not help but wonder: Würde meine Identität als lesbischer Sexpert diese Veränderung aushalten? Und würde ich überhaupt wissen, wie das geht – nicht-binärer Sex?

Im auslaufenden Berliner Winter habe ich vor wenigen Wochen zum ersten Mal Sex mit einer nicht-binären Person. Davor sprechen wir darüber, dass Giannis Enby-Sein mich einschüchtert. Er ist androgyner als ich, schmaler und größer. Flache Brust, Bartflaum und große, sehnige Hände. Doch als wir anfangen, uns zu berühren, verwandele ich mich.

Meine Brust, die mir zu groß scheint und die ich unter weiten Shirts oder unbequemen Bindern zu kaschieren versuche, transformiert sich. Zu meiner Überraschung genieße ich es, auch an meinem Oberkörper berührt zu werden. Ich möchte plötzlich getoppt werden, ohne dass ich fürchte, mich dabei zu weiblich zu fühlen. In den Pausen fragen wir uns lachend, zu wie viel Prozent wir jetzt gerade Testo nehmen wollen. Während wir kommen, rufen wir uns bei Namen, von denen nur wir wissen.

An dem Sex an sich ist nichts anders. Die Veränderung ist in diesem Sinne unsubstanziell. Aber es gibt eben gar nicht so etwas wie Sex an sich, weil all das – Begehren, Gender und Fucking – so sehr eine Sache des Vibes ist.

„Es macht einen riesigen Unterschied, von den richtigen Menschen begehrt zu werden“, sagt die Kurator*in und Café-Betreiber*in Sandy Brede bei der von ihr veranstalteten Dyke*Night in Witten zu mir. Von denen, die wir nicht nur aufgrund ihrer unerreichbaren Andersartigkeit begehren, sondern weil sie ein Fenster in ein anderes Leben sind. Weil sie uns aufzeigen, wie wir auch in der Welt sein dürfen. Als ich ein paar Tage später von meiner Partnerin auf einem Sessel in einem Hotelzimmer geleckt werde, fühlt sich das an wie ein Blowjob. In den folgenden Wochen denke ich weniger über eine Top Surgery nach als im ganzen Jahr zuvor. Ich schreibe meinen Enby-Namen in meine Instagram-Bio und bleibe beim Blick in den Spiegel an dem Muskel zwischen Schulter und Oberarm hängen.

Diese Kolumne reiche ich am Tag der lesbischen Sichtbarkeit ein. Ich weine immer noch beim und nach dem Sex. Immer noch ist lesbischer Sex für mich ein Wunder aus Händen, (Plastik-)Penissen und Processing. Doch ich habe ihn um ein weiteres Mirakel ergänzt.

Mein enby Sex kommt in Farben. Heute ist er zitronengelb und frühlingshaft, wechselhaft bewölkt und wie das Telegram-Stickerset mit den Katzengesichtern auf Tierkörpern. Er ist „[a] longed-for bed which I enter gratefully and from which I rise up empowered.“[2]

Dyke on!

Eva/n

[1] Joan Nestle, „Joan Nestle, Sixty and Sexy“, https://www.joannestle.com/bedstudy/sixtyandsexyripemag.html.

[2] Audre Lorde, „Uses of the Erotic: The Erotic as Power“,  https://static1.squarespace.com/static/5e7cf4825b02c00b6a142f0c/t/5f4bee98ceb27e4afe99bd7c/1598811800640/audre_lorde_cool-beans.pdf.