Liebe Missys: Die diesjährige Berlinale endet ein klein wenig überraschend mit einem Goldenen-Bären-Gewinner, den ich – bei aller Sympathie für Jurypräsident Mike Leigh – als Altherren-Entscheidung empfinde. Zwar haben die über 80-jährigen Taviani-Brüder mit ihrem altmeisterlich hübsch in durchkomponierten Schwarzweißbildern fotografierten Film ein interessantes Thema aufgegriffen, sind meiner Meinung nach diesem aber nicht gerecht geworden. Ihr semidokumentarischer Film „Cesare deve morire“ („Cäsar muss sterben“) spielt in der römischen Strafanstalt Rebibbia: Dort sitzen verurteilte Mafiosi, Drogenhändler und Mörder ein. Gemeinsam proben sie das Shakespeare Stück „Julius Caesar“ ein. Zu Beginn des Films gibt es eine sehr gelungene Casting-Szene in denen die künftigen Laiendarsteller ihre biographischen Daten einmal weinerlich und einmal wütend vorbringen müssen. Was für Gesichter, was für schauspielerische Talente und wie viel Einfühlungsvermögen ist an diesen Menschen, die zum Großteil lebenslänglich einsitzen, für die Welt verloren gegangen! Jeder Zuschauer brennt förmlich darauf nun mehr von diesen Menschen und ihrer Lebensgeschichte zu erfahren, wir hoffen auf einen Film, der uns die dramatische Verbindung zwischen dem Leben der Männer und dem Stück aufzeigt, stattdessen werden wir größtenteils nur Zeugin des Entstehungsprozess der Inszenierung.

Wenigstens gibt es einige Momente in den wir erspüren, was die Schauspielkunst diesen einsamen Männern bedeutet, wir dürfen miterleben wie die Auseinandersetzung mit Shakespeare mehr von ihrer menschlichen Seite durchschimmern lässt, welches Tor sie ihnen öffnet, aber selbst diese Erfahrung wird gegen Ende des Filmes weitgehend zunichte gemacht, als der Darsteller des Brutus Salvatore  Striano (der übrigens als Einzigster des Ensembles bereits 2008 entlassen wurde und eigens für den Film in den Knast zurückgekehrt ist) sagt: „Seitdem ich die Kunst kennengelernt habe, ist diese Zelle ein Gefängnis für mich geworden.“ Danke ihr Herren mit dem Holzhammer, dass hatten wir auch bereits bemerkt. Wäre ich jetzt zynisch würde ich das recht britische „Well done“ bemühen.

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Wenden wir uns lieber sinnigeren Preisen zu, einige der Gewinner wurden in meinem blog bereits ausführlich besprochen: Ursula Meier erhielt für ihren unbedingt empfehlenswerten Film „Sister„, immerhin eine lobende Erwähnung, für die es dann noch einen silbernen Zusatzbären gab. Ihr Geschichte um einen Jungen, der zu jenen Kindern gehört, die „ihren Platz in der Gesellschaft nicht finden, auch nicht emotional“(so Meier), setzt ein der Gesellschaft auf den Nägeln brennendes Thema in der ihr eigenen Weise gekonnt um: Auf der Pressekonferenz betonte sie, wie wichtig es ihr sei „beim Erarbeiten eines Films von Anfang an gleichzeitig einen Inhalt und eine Form“ haben zu  müssen…Unverständlicherweise diskutierten viele Kollegen nach Aufführung des Film darüber, ob dieses Schweizbild, dass in dem Film dargestellt würde, nicht völlig unrealistisch sei. Gibt es tatsächlich prekäre Verhältnisse in der Schweiz? Darauf antwortete Drehbuchautor Antoine Jacoud ganz trocken: „Manche haben Probleme ihre Krankenkasse zu bezahlen, andere kaufen Skier für 2000 Euro.“ Es kann sich bei erwähnten Kollegen nur um die letzten festangestellten Journalisten Europas handeln….

Der silberne Bär für die beste Darstellerin ging an Rachel Mwanza, die  in „Rebelle“ von Kim Nguyen die gekidnappte Kindersoldatin und mißbrauchte Kriegshexe Komona spielt. Der Regisseur Kim Nguyen hat Mwanza, die bislang ein annähernd vergleichbar hartes Leben wie Komona geführt hat, auf den Straßen Kinshasa gefunden und für den Film engagiert. Für die talentierte junge Frau bedeutet der Erfolg dieses Film schlichtweg die Chance auf ein menschenwürdiges Leben. Inzwischen hat das mutige Mädchen, als das sie sich selbst bezeichnet, bereits lesen und schreiben gelernt.

Den Großen Preis der Jury – also auch eine silberne Bärin, aber auch den Amnesty-Filmpreis bekam „Just The Wind“ von Bence Fliegauf – gezeigt und mit hervorragender Kameraarbeit erfühlbar gemacht wird der von Angst und menschenunwürdigen Lebensumständen geprägte letzte Tag im Leben einer Romafamile, bevor sie von einem wütenden Mob mit Schrotkugeln durchlöchert werden. Der im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubende Film beruht auf ungeheuerlichen, wahren Tatsachen, Fremdenhass (auf Roma, Sinti und auch Juden) ist in Ungarn durchaus wieder „salonfähig“ geworden. Der Regisseur lenkte bei der Preisverleihung die öffentliche Aufmerksamkeit, die ihm in diesem Moment zuteil wurde, auf die vielen engagierten SozialarbeiterInnen mit denen er während der Dreharbeiten zu tun hatte….(Hier noch einmal der link zu meinem Blog vor ein paar Tagen, in dem ich beide Filme ausführlicher besprochen habe.)

Den silbernen Regiebären erhielt der geheime Favorit vieler Kritiker: „Barbara“ von Christian Petzold. Zwischen Schikanen der Hauswartsfrau und Leibesvisitation spielt Nina Hoss sehr glaubwürdig eine strafversetzten Ärztin, die heimlich mit ihrem schnöseligen West-Geliebten ihre Flucht plant – leider kommt ihr jedoch die Liebe auf Augenhöhe dazwischen und Zweifel an dem erfüllenden Leben als Hausfrau im gelobten Westdeutschland….Unbedingt angucken, der Film startet passenderweise am sogenannten „Frauentag“….

Mein persönliches Fazit der Berlinale: Als letzten Film der Berlinale habe ich mir „Side by Side“ angeschaut, ein Film in dem Keanu Reeves Regisseure und Kameraufrauen dazu befragt, welche Auswirkungen die digitale Revolution auf den herkömmlichen Film hat. Die Jury ehrt dagegen mit ihren Bären, die ich Euch nicht alle vorstellen konnte, tendenziell eher das Kino der Vergangenheit und liegt damit, wenn ich an ausgezeichnete Filme wie „The Artist“ und „Hugo Cabaret“ denke, voll im Trend. Regisseure, wie Enfant terrible Lars von Trier zeigen sich in „Side by Side“ erfreut über die digitale Revolution: Kostengünstige Kamera und der Wegfall vieler anderer immenser Kosten können nun dazu führen, dass neue Wege beschritten werden und junge, talentierte Filmemacherinnen ihre Ideen verwirklichen können. Eine der vielversprechenden jungen Regisseurinnen – Lena Dunham – die mit der digitalen Technik aufgewachsen sind, sehen wir in dem Reeves-Film auch bei den Dreharbeiten zu ihrem Drama „Tiny Furniture“, der leider bei uns noch nicht gestartet ist. Im Frühjahr wird auf HBO ihre Serie „Girls“ starten…Wenn ihr mich fragt: Die Welt im Umbruch darf auch vor den ehrwürdigen Kinotoren nicht halt machen – ich freu’ mich schon auf eure Arbeiten….

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